Die Himmelsbraut
geschnappt.»
Fröstelnd schloss sie den Fensterladen und tastete sich ins Bett zurück. Sie blieb noch lange wach und dachte über das Gesehene nach. Hatten sich nicht auch die Familiaren in den letzten Tagen seltsam benommen? Die wenigsten waren pflichtgemäß ihrem Tagwerk nachgekommen, hatten sich vielmehr immer wieder in Grüppchen gesammelt und flüsternd die Köpfe zusammengesteckt. Darüber war die Priorin einige Male lautstark in Zorn geraten, doch niemand hatte sich hiervon beeindrucken lassen. Im Gegenteil: Einige, wie die Magd Bertha, verweigerten sogar keck den Gehorsam, als es darum ging, irgendwelche Befehle auszuführen. Antonia beschloss, morgen früh gleich als Erstes Peter aufzusuchen und zu fragen, ob es Neues zu berichten gebe.
In dieser Nacht läutete kein Glöckchen zu den Vigilien. Erst zum Morgenlob erwachten die Schwestern und begegneten draußen im Gang Mechthild mit ihrer Leuchte in der Hand.
«Weißt du, wer heute zum nächtlichen Gebet hätte läuten müssen?», fragte Antonia die Pförtnerin.
«Eigentlich ich, wie auch zu den anderen Stundengebeten. Aber die Priorin hatte mir gestern erklärt, dass sie das Nachtläuten übernehmen würde. Weil sie sich innerlich schon auf die Heilige Woche vorbereiten wollte.»
«Dann hat die Gute wohl verschlafen», höhnte Euphemia, die mit Hilde zu ihnen gestoßen war. Antonia biss sich auf die Lippen. Sie war nahe dran, den Gefährtinnen von ihrer Beobachtung zu erzählen, unterließ es aber doch vorerst. Sie wollte jetzt keine Furcht säen, die vielleicht vollkommen unbegründet war.
Gemeinsam begaben sie sich zur Morgenwaschung in den Kreuzgang und stiegen die Treppe hinauf zum Nonnenchor, wo zu ihrem Erstaunen der restliche Konvent bereits bei Kerzenlicht versammelt war. Die Priorin hatte dunkle Schatten unter den Augen – ein Zeichen dafür, dass sie kaum geschlafen hatte.
Für diesmal nahm das Morgenlob schier kein Ende. Feierlicher denn je sangen die Priorin und ihre Getreuen die Psalmen, mit Inbrunst beteten sie für das gute Gelingen und die Segnung des neuen Tages, ja sogar eine Lesung aus der Heiligen Schrift brachte Mutter Camilla vor, was sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr getan hatte.
Noch bevor es richtig hell war, eilte Antonia hinüber in den Wirtschaftshof des Klosters, um Peter zu suchen. Die sternenklare Nacht hatte dem Morgen dichten Nebel beschert, der die Bäume, Sträucher und Mauern gespenstisch verschleierte. Antonia erschrak fast zu Tode, als hinter der Klosterbrauerei wie aus dem Nichts Franz vor ihr auftauchte, Peters jüngerer Bruder.
«Du meine Güte – hast du mich erschreckt!»
«Das wollte ich nicht, Schwester Antonia. Ich war gerade auf dem Weg zu Euch.»
«Warum? Was ist geschehen?» Sie ahnte, dass es mit Peter zu tun hatte.
«Er ist weg! Gestern Abend ist er auf und davon, mit den Bauern.» Der Junge kämpfte mit den Tränen.
«Weg? Mit welchen Bauern?»
Franz breitete die Arme aus und schwenkte sie in alle Richtungen. «Na, eben die Bauern von hier aus der Gegend. Sie alle sammeln sich und ziehen bewaffnet nach Bonndorf.»
«Nach Bonndorf?»
«Wisst Ihr es nicht? Hans Müller, der Hauptmann der Stühlinger, ist dort und mustert seine Truppen für den Einmarsch in den Breisgau. Die Städte und Marktflecken hier oben auf dem Wald haben sich seiner christlichen Vereinigung schon angeschlossen.»
Antonia wurde es kalt ums Herz. Sie hatte sich Peter als Vertrauten ausgesucht, ja, auch als Beschützer ihrer Schwester und ihrer selbst für den Fall, dass hier doch eines Tages wütendes Landvolk vor den Toren stehen könnte. Plötzlich fühlte sie sich im Stich gelassen. Andererseits – hatte sie ein Recht darauf, über das Leben dieses Jungen zu bestimmen?
«Und warum bist du nicht mit ihm?», fragte sie Franz.
«Er hat’s mir verboten. Weil es Krieg geben könnte mit dem Heer vom Schwäbischen Bund.» Er senkte die Stimme. «Ich sei zu jung zum Sterben, hat er gesagt. Entweder würden wir siegen oder in unserem eigenen Blut ertränkt werden.»
Antonia fragte sich unwillkürlich, in welcher Gefahr sie wohl schwebten in ihrem einsamen Kloster, während sich rundum die aufgebrachten Bauernhaufen zusammenzogen.
«Sind viele Männer von hier mit ihm gegangen?»
Franz schüttelte den Kopf. «Die meisten sind noch da. Schwester Gerlinda, die Gesindemeisterin, hat uns alle für nach dem Morgenessen ins Gesindehaus einberufen. Bei harter Strafe darf keiner fehlen. Wahrscheinlich hat sie Angst, dass
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