Die Himmelsbraut
sehen möchte.» Dann murmelte sie, mehr für sich selbst: «Ja, ich glaube fürwahr, dass sie eine schwere Last trägt.»
Als Antonia wenig später ihrer Freundin diese Nachricht überbrachte, ging ein Leuchten über deren Gesicht. Doch nachdem Vrena an diesem Abend aus dem Äbtissinnenhaus zurückgekehrt war, erschien sie nicht zum Essen. Antonia traf sie erst wieder zur Komplet, wo sie mit bleichem Gesicht ihre Gebete verrichtete und den Abendsegen durch die Priorin mit zusammengepressten Lippen entgegennahm. Beunruhigt fragte sich Antonia, was die beiden wohl miteinander besprochen hatten. Sie wartete noch bis zur Nachtruhe, dann schlich sie hinüber zu Vrenas Bett.
«Wie war deine Zusammenkunft mit der Priorin?»
Statt einer Antwort drehte Vrena ihr brüsk den Rücken zu und zog sich die Decke bis über den Kopf.
Auch die nächsten Tage bemühte sich Antonia vergebens, eine Antwort auf diese Frage zu bekommen. Vrena wich ihr aus, benahm sich überhaupt sehr sonderlich. Sie starrte oft ins Leere, bis ihr Blick zu flackern begann, schrak beim kleinsten Geräusch zusammen, war im Unterricht nicht bei der Sache. In Antonia wuchs der Zorn auf die Priorin – und auf sich selbst, die sie diese Begegnung vermittelt hatte.
Vielleicht hätte sie ja irgendwann mehr darüber erfahren, was bei Mutter Camilla geschehen war, hätte nicht lockergelassen und schließlich herausgefunden, was ihre Freundin so niederdrückte. Vielleicht hätte Antonia das Schlimmste sogar verhüten können – wenn nicht ihr eigenes Leben kurz darauf eine völlig unerwartete Wendung genommen hätte.
17 Gutshof der Ritter von Holderstein, Ende August 1521
S ag mir endlich, wo sie ist!»
Phillip drehte seinem Bruder so heftig den Arm auf den Rücken, dass Kilian in die Knie ging. Im nächsten Augenblick stürzten sie beide zu Boden, mitten auf der Weide zwischen den Pferden, wo Phillip seinen Bruder abgefangen hatte.
«Jetzt rede endlich, du Hund!»
Doch Kilian presste die Lippen zusammen. Eine verbissene Rangelei begann, bei der Phillip am Ende die Oberhand gewann. Er drückte dem anderen das Knie auf die Brust und packte ihn mit beiden Händen am Hals.
«Du kannst mich umbringen», keuchte Kilian. «Aber ich sag kein Wort.»
Phillip ließ ihn los und warf sich rücklings ins Gras. Es hatte keinen Zweck. Aus Kilian war ebenso wenig herauszubringen wie aus Johann, dem Edelknecht. Die beiden waren aus ähnlichem Holz geschnitzt. Niemals würden sie ein Versprechen, das sie gegeben hatten, brechen.
Als Phillip vor einer Stunde hier auf Holderstein eingetroffen war, war er fast erleichtert gewesen, dass sich sein Vater außerhalb, auf Burg Hohengeroldseck, aufhielt. Er hatte nämlich Johann ungestört unter vier Augen sprechen wollen, um zu erfahren, ob der seine Nachricht an Antonia mittlerweile weitergegeben hatte.
«Das hab ich.» Der Alte hatte eifrig genickt. «Vor zwei Wochen haben wir dem Kloster einen Besuch abgestattet, dein Vater, Kilian und ich.»
«Kilian war mit dabei?» Eifersucht flammte in ihm auf. «Und wie geht es ihr? Habt ihr mit ihr gesprochen?»
«Leider nein, sie war krank. Aber ihre Schwester haben wir wiedergesehen. Ich hätte das Mädchen fast nicht erkannt, so blass und dünn ist sie geworden.»
«Krank? Antonia ist krank?»
«Nur ein Sommerkatarrh, nichts Ernstes. Aber ich hab das Brieflein Magdalena überreicht, und sie hat mir hoch und heilig versprochen, es deiner Antonia weiterzugeben. Und keine Sorge, dein Vater hat nichts hiervon bemerkt.»
Phillip war alles andere als erfreut über diesen Verlauf der Dinge. Niemals hätte sein Liebesschwur in fremde Hände geraten dürfen. Noch mehr aber war er außer sich darüber, dass Kilian mit dabei gewesen war. Jeder hier wusste, wo Antonia steckte, nur er nicht! Damit wollte er sich nicht länger abfinden.
Kurzerhand hatte er wieder sein Pferd bestiegen und war schnurstracks hinunter zum Gestüt geritten. Wo er seinen Bruder auf der Pferdeweide abgepasst und diese Raufhändel angefangen hatte.
Langsam richtete sich Kilian auf und rieb sich den schmerzenden Nacken. Die Jungpferde rückten neugierig schnaubend wieder näher heran.
«Es tut mir leid für dich, Phillip. Ehrlich.»
Doch Phillips Wut auf den Bruder war plötzlich verraucht. Schließlich hatte er als Kind selbst oft genug davon profitiert, dass Kilian ihn nicht verraten hatte, etwa wenn er irgendwelchen Unsinn angestellt hatte.
«Weißt du, ob …» Er zögerte, weil er Angst vor der
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