Die Himmelsleiter (German Edition)
er plötzlich, dass ich zusammenzuckte. Dann fuhr er eindringlich, aber leiser fort: "Es gibt unendlich viele Sachzwänge. Jeder von uns ist das Produkt seiner Erziehung, der Gesellschaft, was du willst! Aber, wenn's darauf ankommt, stehst du alleine. Dann musst du dich entscheiden. Klar, du hast alles da drin!" Er schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn, dass es knallte. "Aber damit kannst du dich nicht rausreden. Da läuft kein Programm ab, das tausendmal immer wieder zum gleichen Ergebnis käme. Vielleicht bist du unkonzentriert oder abgelenkt, einmal fällt dir etwas ein, was dir das andere Mal nicht in den Sinn kommt. Es genügt ein kleines Quäntchen, irgendein Etwas, so winzig es auch sein mag, und du schweigst oder wirst zum Verräter", - er dachte offenbar an Sartres Helden der Resistance, die sich unter der Folter zu beweisen hatten - "oder es bewirkt, dass ich ein Kind zeuge oder es bleiben lasse, dass ich jemanden töte oder mich selbst umbringe. Selbst wenn ich mir eine Tasse Kaffee koche, verändere ich die Welt!"
Gab es einen unabh ängigen Willen? Irgendeine Instanz, die schalten und walten konnte, ohne sich um ihre Ursachen zu kümmern? Und falls es nur der Zufall war, den es vielleicht tatsächlich gab, die Unberechenbarkeit, die Altomonte immer wieder beschwor, wie konnte ich dann stolz auf eine Entscheidung sein, die mein Gehirn geradezu ausgewürfelt hatte? Für einen überzeugten Materialisten wie mich klangen Altomontes Theorien abwechselnd phantastisch oder auch nur unverbesserlich idealistisch.
War ich schlie ßlich nicht zuletzt deshalb zur Physik gekommen? In der festen Überzeugung, der Lauf der Geschichte sei genauso zwingend vorgegeben, wie es der berühmte Fall des Apfels war. So wie die großen Entwicklungen von Anbeginn der Zeit bis zu ihrem Ende einem festgelegten Ablauf folgten, war auch das Leben eines jeden Menschen einem geradezu schicksalshaften Plan unterworfen. Erst jenseits davon gab es Freiheit. Wenn ich mit meinen Wünschen und Einstellungen, meinen Gewohnheiten und Ängsten ein Produkt dieser Weltmaschine war, dann bedeutete dieses festgelegt sein keinen Zwang, es war ein Teil von mir. Genauso ernsthaft rang ich um eine Entscheidung, als hätte ich eine Wahl. Dieses Ringen gehörte zu der Entscheidung, und die Freiheit, die ich dabei verspürte, war nicht mehr als das Erleben dieses notwendigen Aktes. Obwohl ich wie Altomonte mit eigenen Augen das unberechenbare Schwanken des Lorenz'schen Wasserrades beobachtet hatte, vermochte ich nicht, das wirkliche Leben darin zu erkennen.
So oder so ähnlich versuchte ich, es auch Altomonte zu erklären. "Das entbindet dich nicht davon, dich so zu entscheiden, als hättest du tatsächlich eine Wahl. Letztlich gehört dieses Sich-Entscheiden dazu. Es ist genauso im Voraus festgelegt wie die Entscheidung, die du schließlich triffst."
Er sch üttelte den Kopf. "Und doch ist es nicht dasselbe. Bei dir ist es eine kühle, fast kalte Verantwortung. Klar übernimmst du die Verantwortung für deine Handlungen! Aber es bleibt so abstrakt, als wenn du für die Schulden deiner Kinder geradestehen würdest, oder wie der Politiker, der zurücktritt, weil einer seiner Leute Mist gebaut hat. Es ist eine moralische Verantwortung, die aber nicht dein Innerstes trifft." Es war spät geworden, und ich wunderte mich über Altomontes Wachheit. "Auch Sartre sagt: 'Der Mensch wird von anderen gemacht.' Und doch hat der Mensch die Freiheit, sich selbst zu verstehen, oder?! Und sich somit letztlich selbst neu zu machen . Jeder von uns ist sowohl für das eine als auch für das andere verantwortlich. Gleichgültig wie groß dein Spielraum ist, von dem Augenblick an, an dem du diese Verantwortung übernimmst, bist du nicht mehr der Spielball deines Schicksals."
Pl ötzlich stand Alessandra in der Tür. Ein dünnes Nachthemd fiel ihr bis auf die Knöchel. Wie hinter einer Milchglasscheibe konnte man darunter den Umriss ihres nackten Körpers erahnen.
"I grande leader della rivoluzione stanno ancora discutendo", sagte sie ironisch. Sie fröstelte.
"Wir haben gerade ausgew ürfelt, wer heute Nacht bei dir schlafen darf. Und ich habe gewonnen!" Er blieb mir einen Schritt voraus.
" Da hast du Pech, Monti! Das war nur der Trostpreis. Mit einer Nacht ist es bei mir nämlich nicht getan." Sie lächelte schnippisch und ging.
TUNNELNDE SOLITONEN UND DER SINN DES LEBENS
Die Japaner haben ihr den Namen gegeben. Eines der größten Unglücke ist für
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