Die Himmelsleiter (German Edition)
über meine verschwendeten Talente klang an, "und schlägst dich auf die Gegenseite."
Wir sprachen über mich, "seltsam", ging's mir durch den Kopf. Oder wollte er, auf dem Gipfel seines Erfolges, nur mit dem Gedanken spielen, was aus ihm selbst alles hätte werden können?
"Vielleicht wollte ich niemals dort", mein Kopf machte eine vage Bewegung in seine Richtung, "sitzen, wo du jetzt sitzt. Vielleicht hat es mir nie etwas bedeutet."
"S o, so." Seine Gedanken schienen abzuschweifen. Zwanzig Jahre waren eine lange Zeit, wenn man versuchen wollte, den roten Faden zu finden. Altomonte nahm sein Glas, sog tief den Geruch des Sherrys ein, trank einen kleinen Schluck und drehte den Stiel spielerisch zwischen den Fingern.
Auch ich dachte zur ück, an unsere ersten hitzigen Diskussionen, meine ungläubigen Einwände, an die unzähligen Versuche und Simulationen, die wir gemeinsam durchgeführt hatten, an die Gruppe versponnener Abtrünniger, die sich am Institut um Altomonte wie um einen Sektenführer geschart hatte. Aber auch die allgegenwärtige Alessandra stand wieder im Raum, jene Alessandra, die, in den Strudel der Ereignisse geraten, in wenigen Monaten von der wohlerzogenen höheren Tochter zur unnachgiebigen Kämpferin wider das Unrecht mutiert war. Ich dachte an diesen Frühling zurück, an dem alles begann. Am Tag, an dem mich Altomonte im Garten der Theoretischen angesprochen hatte, war meine bis dahin beschauliche Welt wie eine träge Luftblase zerplatzt. Unversehens in eine wirklichere Wirklichkeit hinausgeworfen, hatte ich mich mehr schlecht als recht bemüht, nicht unterzugehen, jene Welle zu reiten, die meine Kräfte bald überstieg und aus der ich mich irgendwann nur noch durch einen Sprung über ihren Kamm in ruhigeres Fahrwasser zurück hatte retten können. Tatsächlich war ich bald ausgestiegen, hatte sowohl die Jünger des Chaos als auch jene des bewaffneten Kampfes hinter mich gelassen und war schließlich wieder eingeholt worden, zuerst von den einen, viel später dann von den anderen.
Passend in meine Gedanken hinein, sagte er: "Du hast nie wirklich dazu geh ört. Du hast dich nie voll und ganz auf etwas eingelassen, warum eigentlich?"
Das fragte er mich nicht zum ersten Mal, und so wie meine Versuche damals fehlgeschlagen waren, ihn zu überzeugen, waren später auch meine Bemühungen gescheitert, ihm wenigstens meine Motive verständlich zu machen.
"Weil es immer ein paar Dinge gab, die mir mindestens genauso wichtig waren, oder weil mich eine einzige Aufgabe auf Dauer nicht ausf üllt, oder weil ich mehr bin, als eine Idee, so großartig sie auch sein mag, oder … " Ich brach ab. "Es gibt tausend solcher Gründe", schloss ich meinen Gedanken ab, "und alle laufen darauf hinaus, dass ich vielleicht einfach nur leben wollte."
"U nd, hast du gelebt?"
So wie wir uns gegen übersaßen, wäre es mir lächerlich erschienen, mein Leben als Gegenmodell zu dem seinem zu propagieren. Stattdessen antwortete ich: "Ich habe es versucht. Ob etwas dabei herausgekommen ist, werde ich irgendwann wissen. So oder so bleibt dir nichts anderes übrig, als es zu übernehmen.
"He, he, Sartre!" Er schien nicht wirklich die Absicht zu haben, das Thema zu vertiefen. "Vielleicht unterscheiden wir uns darin, dass du nur im Mittelmaß wirklich leben kannst, dort, wo du von allem etwas hast. Dort kannst du es dir gemütlich einrichten." An seine wenig schmeichelhaften Interpretationen hatte ich mich vor langer Zeit gewöhnt. "Mich würde es umbringen. Ich brauche das Außergewöhnliche, das Äußerste, nur dort finde ich die Luft zum Atmen."
So sprach der Wirklichkeitss üchtige. Er hatte immer höhere Dosen gebraucht, nur immer extremere Taten und größere Erfolge hatten ihm für eine immer kürzere Zeit einen Zipfel jenes Lebensgefühl zurückgebracht, das er im Mai entdeckt hatte. Die Lambrusco-Nacht aus einem anderen Universum fiel mir wieder ein. Sich seine Existenz schaffen, hatte er gesagt - und: 'Mensch Heilant, mir geht's wirklich gut!'
"Geht 's dir gut?"
"Mu ss es mir doch, oder?!" Er lachte. "Nein, wirklich, es ist großartig." Dann wurde er wieder ernst. "Man sagt Frauen nach, dass sie nach der Geburt eines Kindes in ein tiefes Loch fallen. Mir geht es manchmal ähnlich. Wenn ich ein Buch geschrieben habe oder wenn ein wichtiges Experiment endlich geklappt hat, verfliegt die erste Euphorie auch ganz schnell. 'Was jetzt?' denkst du. Werde ich jemals wieder die Kraft finden, etwas genauso Großes oder
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