Die Himmelsleiter (German Edition)
Wellen immer undurchlässiger, bis irgendwann der Energieeinsatz in keinem Verhältnis mehr zu der Ausbeute steht. An dieser Stelle tritt Altomonte auf den Plan. Er fand eine Möglichkeit, wie die Radiowellen die Grenzschicht des Plasmas überwinden können. Durch eine Überlagerung nichtlinearer Effekte, so hatte er mir erklärt, werden die Wellen in die Lage versetzt, ohne Verlust an Energie durch die Grenzschicht des Plasmas hindurch zu tunneln. Das war zwar kein grundsätzlicher Durchbruch, reichte aber in jenem Jahr für den Physiknobelpreis.
So sehr diese Darstellung dem Laien und dem interessierten, aber aus der Übung gekommenen Fachkollegen einleuchtete, so wenig war sie geeignet, den darunterliegenden Vorgang tatsächlich verständlich zu machen. Was bedeutete schon Überlagerung nichtlinearer Effekte ? Und was konnte man sich unter diesem geheimnisvollen Tunneln vorstellen? Sicher hatte auch ich damals schon etwas von Solitonen gehört, jenen seltsamen Erscheinungen, die, ebenso dauerhaft wie flüchtig, überall nahezu unbemerkt ihr Unwesen treiben. Viel verstanden hatte ich davon jedoch nicht.
"Hat das irgendwas mit dem Paarungsverhalten der Walfische zu tun?" hatte ich Altomonte w ährend des Interviews gefragt, als er zum ersten Mal das Tunneln von Solitonen erwähnte.
Wir sa ßen im Arbeitszimmer seines Genfer Domizils gemütlich in unseren schweren Lederfauteuils, zwischen uns ein Tischchen mit Gläsern und einer Karaffe. Im Kamin knisterte ein Holzscheit, und hin und wieder zischte ein Funke. Altomonte hatte sich verändert. Seit ich ihn vor ein paar Jahren zum letzten Mal besucht hatte, trug er eine neuentdeckte Würde zur Schau, schien Wert auf Etikette zu legen, war überaus sorgfältig gekleidet und frisiert. Seine Worte waren gewählt, er sprach langsam und pointiert, und sein typisches oder?! kam seltener, als habe er es in die Randbezirke seines Wortschatzes verbannt. Selbst die Bewegung, mit der er den alten Sherry aus der Kristallkaraffe nachschenkte, hatte jetzt etwas Aristokratisches. Der Erfolg schien aus dem genialen Außenseiter nach und nach eine respektierte Persönlichkeit gemacht zu haben, die im Zentrum der Ereignisse stand. Es war, als wolle er zum Ausdruck bringen, dass er es nun war, der den Ton angab, wie der Politiker, der, nach seiner Position befragt, lächelnd erwidert: 'Die Mitte ist dort, wo ich bin.'
"Heilant, Heilant!" Er sch üttelte bekümmert den Kopf. "Es muss schlecht um die deutsche Presse bestellt sein, wenn Leute wie du das Wissenschaftsressort beim Spiegel leiten. W en wundert's, dass sie dann hoffnungslos überfordert dem Genius gegenüberstehen? Ist es nicht mehr üblich, sich sorgfältig auf ein Gespräch mit einer so wichtigen Persönlichkeit vorzubereiten?"
Wir pflegten immer noch die Ironie früherer Tage wie ein altes Erkennungsritual, aber beide klangen wir müde und waren nicht mehr so recht bei der Sache.
Das Tonbandger ät lief seit fast zwei Stunden. Die Fotos hatte Peter bereits am Nachmittag geschossen. Am Schluss würde ich Altomonte noch fragen, was er als nächstes zu tun gedenke, und er würde mir eine verworrene Geschichte erzählen, eine Geschichte, in der Berge und Täler eine mysteriöse Rolle spielten und die für die Kulisse des Sees wie geschaffen schien.
Sp äter stellte ich das Band ab, meinte noch, dem privaten Teil des Abends stehe nun nichts mehr im Wege, hatte aber Mühe, das Interview in ein zwangloses Gespräch hinübergleiten zu lassen. Trotz der Jahre, die sich wie Nebelschwaden dazwischengeschoben hatten, war es uns niemals gelungen, die Beklemmung jener fernen Ereignisse ganz abzuschütteln. So sehr wir uns auch manchmal bemühten, wir glichen Eltern, deren einziges Kind auf tragische Weise ums Leben gekommen war. Für den Rest unseres Lebens würde ein unausgesprochener Vorwurf zwischen uns stehen.
"Wei ßt du, was ich mich manchmal frage?" Altomonte schaute versonnen in die Schwärze des Gartens hinaus. Hinter ihm hing eine altertümliche Weltkarte. "Du hättest es genauso weit bringen können wie ich. Dann hätte ich dich vielleicht interviewt, statt umgekehrt, oder wir wären gemeinsam einem deiner Kollegen in die Finger geraten … Ich will damit sagen, du hast das Zeug dazu gehabt. Du hättest dich dafür ein bisschen mehr anstrengen müssen als ich." Er lachte, als meine er es nicht ernst. Dann schwieg er so lange, dass ich schon antworten wollte. "Stattdessen schmeißt du alles hin", vordergründige Trauer
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