Die Himmelsmalerin
die einzige Lichtquelle bildeten. Lena wandte die Augen zum Fenster, vor dem wieder ein Bewaffneter stand. Mist! Die Läden waren auch hier geschlossen. Es roch nach ungewaschenen Männern und feuchten Hunden. Sie schaute sich um und entdeckte zwei riesengroße Jagdhunde unter dem Tisch, die den Kopf auf die Pfoten gelegt hatten.
»Ihr braucht nicht an Flucht zu denken.« Rotenecks sanfte Stimme kam aus der dunkelsten Ecke der Küche, neben dem Tellerregal, auf dem ein chaotisches Sammelsurium von Tongeschirr stand. Er sagte es beiläufig, aber Lena hörte, wie ernst es ihm mit der Anweisung war.
»Wieso sollten wir?«, gab sie spöttisch zurück. »Wir sind zwar nur zwei Jungfern, aber Ihr lasst das Haus bewachen, als hättet Ihr es mit einem ganzen feindlichen Heer zu tun.«
Roteneck lachte. »Ein Zeichen der Achtung, Lena Luginsland. Ihr habt mir lange genug die Stirn geboten!«
Und das werde ich weiter tun, dachte sie grimmig, setzte sich an den Tisch und schaute dem Ritter in die Augen. Roteneck wies auf die Mahlzeit, die dort angerichtet stand: ein frisches, duftendes Brot, Käse und einen Krug mit Würzwein, dazu Tonbecher und Teller. Noch wollte er sie also nicht verhungern lassen. Die Hunde verzogen sich in Richtung des Kaminfeuers.
»Greift zu, meine Damen!« Er schenkte das dampfende Getränk in zwei Becher. Es roch so verlockend, dass Hunger und Durst ihren Widerstand mühelos brachen. Die Mädchen setzten sich und griffen zu, verbrannten sich fast den Mund an dem heißen Getränk und bissen in die knusprigen Brotscheiben, als hätten sie wochenlang nichts zu essen bekommen. Danach war Lena fast schon wieder in der Lage, Pläne zu schmieden, wie dem Scheusal Roteneck zu entrinnen war. Man würde sehen, dachte sie, ob sie nicht genug Erfindungsgeist aufbringen konnte, um einen Weg hier heraus zu finden.
Der Ritter setzte sich zurück, streckte die langen Beine aus und verschränkte die Hände entspannt im Nacken. »Ich sehe, dass Euch die Gefangenschaft nicht den Appetit verschlagen hat.«
Lena starrte ihren Peiniger voller Verachtung an. »Es wäre vielleicht etwas einfacher gewesen, wenn Ihr in diesem – Loch – für ausreichend Beleuchtung und etwas Brot und Wasser gesorgt hättet.«
Er lachte leise. »Oh, hat Euch die Dunkelheit schon mürbe gemacht? Da sieht man mal wieder, was eine Nacht unter Kerkerbedingungen für Wunder vollbringen kann.« Er prostete ihr mit höfisch vollendeten Manieren zu und nippte an seinem Becher.
»Werdet Ihr uns jetzt verraten, was Ihr vorhabt?«
Sein dunkler Blick glitt lauernd von einer zur anderen. Lena sah, dass Loisl, die neben ihr auf der Bank saß, zusammenschrumpfte, als würde sie sich am liebsten zwischen den Holzdielen des Fußbodens verkriechen.
»Nun, ich denke, ich habe für Euch beide Verwendung.« Sein Lächeln war noch immer sanft und freundlich. Genüsslich ließ er seine Augen über Lenas zarte Gestalt und die üppigen Rundungen der Magd schweifen. »Ihr könnt mir in so mancher Hinsicht zu Diensten sein. Beide zusammen oder alleine.« Er legte den Kopf in den Nacken und lachte lauthals, als hätte er für den besten Spaß des Morgens gesorgt.
Versuch’s nur, dachte Lena grimmig. Loisl aber wurde weißer als die Wand und hustete sich an einem Krümel fast die Seele aus dem Leib. Doch Roteneck beachtete die Magd nicht weiter, stand auf und schaute auf Lena herunter. Die Wärme in seinen Augen war verschwunden. »Ich möchte Euch, Jungfer Lena, so bald wie möglich sprechen. Davor solltet ihr …« Er rümpfte verstohlen die Nase. »… ein Bad nehmen und Euch dabei von der Magd aufwarten lassen. Verweist die Kebse ruhig an ihren Platz.«
Lenas Zorn schwappte über wie ein zu voll gegossener Weinkrug. Ihr Mund öffnete sich, aber Loisl unterbrach sie mit einem geistesgegenwärtigen »Natürlich, Herr!« und rettete damit die Situation.
Ein weiterer Bewaffneter wartete schon an der Tür und führte die Frauen die Treppe hinauf in ein Zimmer, in dem, erkennbar im schummrigen Licht einer Öllampe, ein Bett, eine leere Wiege und eine hölzerne Truhe standen, alles einfach, aber solide gearbeitet. Der Fensterladen war mit einem Schloss verriegelt, was es dem Bewaffneten ermöglichte, das Zimmer zu verlassen. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, schaute sich Lena zögernd um. Sie ging von einem Möbelstück zum anderen und strich mit der Hand über die glatte, kühle Kante der Wiege. Der Deckel der Truhe stand offen und zeigte auf
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