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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Rosenberger
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seine dicke Bürgermeisterkette auf dem warmen Mantel und machte sich auf den Weg. Kurz darauf fanden sich weitere Schaulustige am Neckar ein und trotzten dem schlechten Wetter mit ihren Lodenkapuzen.
    Pünktlich zur dritten Stunde öffnete sich die Pforte des Predigerklosters. Choräle singend, zogen die Mönche in einer langen Reihe aus dem Konvent. Die Kerzen in ihren Händen verlöschten im Wind. Zwischen ihnen ging Valentin Murner, der nur mit seinem leinenen Unterhemd und Beinlingen bekleidet war, und fror erbärmlich.

    Bei Sonnenaufgang war Kilian in seine Zelle gekommen. Valentin hatte nicht geschlafen, sondern die ganze Nacht auf seiner Pritsche gelegen und an die Decke gestarrt. Vielleicht war heute der letzte Tag seines Lebens. Er versuchte zu rekapitulieren, was wichtig gewesen war, aber seine Gedanken blieben an den wenigen Menschen hängen, die ihm etwas bedeutet hatten. Sein Vater, der vom Gerüst stürzte, als er zehn war, seine Mutter, die mehr und mehr für Gott lebte, Kilian und Lena, die er verloren hatte. Eigentlich war er frei, stellte er fest.
    »Willst du beten?«, fragte Kilian.
    Um seinen Freund nicht zu enttäuschen, nickte er und erhob sich von seinem Lager. Kilian hatte ihm in den letzten drei Tagen geholfen. Er hatte sich vor ihn gestellt, als der Prior ihn in das Verlies stecken wollte, wo ungehorsame Novizen tagelang im Dunkeln saßen, und dafür gesorgt, dass er in seiner Zelle in Ruhe gelassen wurde. Wie Kilian es schaffte, sich gegen den ganzen Konvent und gegen Prior Balduin durchzusetzen, war ein Rätsel, das Valentin im Laufe der letzten drei Tage nicht gelöst hatte. Vielleicht lag es daran, dass er als Neffe des Bürgermeisters einen guten Draht zur weltlichen Obrigkeit hatte. Und irgendwie musste Kilian es auch geschafft haben, den Kontakt zu den Franziskanern herzustellen. Denn gestern Abend hatten sich die Prioren zu einem Gespräch unter vier Augen getroffen, das mit dem Beschluss endete, Valentin der Wasserprobe zu unterziehen. Dieser zweifelte zwar nicht daran, dass er im Neckar ersaufen würde, aber wenigstens hatte seine Gefangenschaft dann ein Ende.
    In der Kirche war es dunkel und kalt. Kerzen flackerten im Luftzug. Valentin kniete auf dem eisigen Steinboden. Die Gebete, die er kannte, waren zu Bruchstücken zerfallen, die sich in seinem Kopf nicht zusammensetzen wollten.
    »Bete um Gerechtigkeit!«, flüsterte Kilian voller Leidenschaft, doch Valentin konnte nicht. Nach einer Weile standen sie auf und schlossen sich den Mönchen an, die vor der Tür der Sakristei warteten. »Hat er seine Sünden bekannt?«, fragte ein grauhaariger Dominikaner. Kilian schüttelte den Kopf. Valentin war alles egal.
    Graue Wolken trieben über den Himmel, als sie ihren Gang zum Fluss antraten. Hin und wieder fiel etwas Regen auf den staubigen, trockenen Boden. An den Straßenrändern hatten sich die Menschen aufgereiht, um ihm ein lautstarkes Geleit zu geben.
    »Halsabschneider«, riefen sie.
    »Mörder!«, kreischte die dicke Hanna, die ihn bei der Leiche des Dominikaners gefunden hatte.
    Valentin schaute nicht auf. Die schwarzweißen Gewänder der Mönche, Mantel und Kutte, bildeten ein regelmäßiges Muster, fast einen Rhythmus, der ihn beruhigte. Schwarzweiß, Schwarzweiß, Schwarzweiß und darunter reichlich dreckige Füße in dunklen Ledersandalen. Schritt für Schritt ging es vorwärts. Der Weg war weiter, als er gedacht hatte. Sie folgten dem Wehrneckar am Bleichwasen entlang und durch die Obstgärten am Vogelsang hin zum Fluss. Regen tropfte von den dunkelgrünen Blättern der Apfelbäume. Als sie den Hauptarm des Neckars erreicht hatten, betraten sie die neue Brücke, wo sie von Stefan von Hardenberg und seinen Bewaffneten erwartet wurden. Dahinter drängten sich Esslingens neugierige Bürger, Arm und Reich, Weib und Mann, Jung und Alt, und füllten Brücke und Uferweg in langer Reihe.
    Der Bürgermeister und die Räte hatten sich abseits der Mönche aufgestellt. Wind blies ihnen in die Säume ihrer langen Gewänder und trieb sein Spiel mit ihren Kappen und Hüten. Valentin konnte die Leute beinahe verstehen, die sich für dieses Schauspiel in den Regen stellten. Wann sonst konnte man schon dabei sein, wenn Gott über Leben und Tod entschied. Das war eindeutig besser als eine Hinrichtung.
    Sein Blick glitt über die Wasserfläche unter ihm, die den grauen Himmel spiegelte. Kalt und unbarmherzig wälzten sich die Fluten gen Westen und fragten nicht, was mit ihm geschehen

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