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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Rosenberger
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doch dann wurde ihm klar, um was es ging. Wenn ihn das Wasser wieder hergab, war er des Todes.
    »Bevor sie dich ins Wasser stoßen, atme tief ein. Dann lass dich fallen wie ein Stein, so gut es geht mit den Füßen nach unten und atme so langsam aus, wie du kannst. Am besten, du zählst bis fünfzig. Das hast du als Steinmetz doch sicher gelernt. Man kann lange unter Wasser bleiben, mehrere Minuten sogar, wenn man die Nerven behält. Und dann lass dich wieder hochziehen.«
    Der da sprach, musste ja reichlich Erfahrung haben! Valentin versuchte, sich umzudrehen, doch er konnte nur den Kopf wenden. Aus den Augenwinkeln glaubte er, eine lange Gestalt in der Menschenmenge verschwinden zu sehen.
    Doch jetzt war es mit seiner Ruhe vorbei. Josef packte ihn, befestigte ein weiteres Seil um seinen Bauch und zerrte ihn zur Mitte der Brücke. Wie tief war der Neckar hier eigentlich? Valentin erfasste Panik, doch über die Menschenmenge senkte sich Stille.
    Als Josef ihn mühelos hochhob, hing Valentin einen Moment lang in der Luft wie ein Vogel, dem man die Schwingen gestutzt hatte. Dann flog er über die Brückenmauer durch die Luft und traf hart auf der Wasseroberfläche auf. Im letzten Moment dachte er an den Rat des Fremden und holte tief Luft. Dann schlugen die eisigen Fluten gurgelnd über ihm zusammen. Das Wasser war so kalt, dass ihm der Schock beinahe die Luft aus den Lungen presste. Hektisch begann er sich zu bewegen, zu strampeln und zu zappeln, um wieder nach oben zu kommen. Das ging nicht richtig, denn seine Arme und Beine waren ja gebunden, aber er spürte, wie er aufwärts trieb. Blasen drangen aus seinem Mund und stiegen nach oben, wo das Licht des Tages lockte. Zu viele Blasen. Er kam zur Vernunft, als es fast zu spät war. Was hatte der Fremde gesagt? Er musste sinken und langsam ausatmen. Jetzt hielt er die Luft an, die ihm noch verblieben war, jedes kleine Quentchen Luft, und machte sich so schwer er konnte. Tief ging es und immer tiefer in ein schummriges Halbdunkel. Fische trieben um ihn her, Wasserpflanzen zeigten ihm den Grund an, auf den er unsanft aufsetzte und Schlamm aufwirbelte. Blase für Blase ließ er aus seinem Mund, langsam, kontrolliert, doch jetzt waren seine Lungen fast leer. Wann, dachte er, würden sie ihn wieder raufziehen? Balduin würde die Sache sicher verzögern, Kilian und Johannes vielleicht ein wenig beschleunigen. Als das letzte bisschen Luft seine Lungen verlassen hatte, begann es in seinen Ohren zu rauschen. Er schloss die Augen. Rote Schlieren glitten über das Innere seiner Augendeckel und wurden Feuerräder, die sich immer schneller drehten. Wasser lief ihm in Mund und Nase. Also doch, dachte er. Zu Ende. Dann war er mit Kilian auf der Brücke. Wer springt zuerst? Der Kleine lachte ihn an. Im Traum war er noch kein Mönch, sondern ein Junge mit einem braunen Lockenschopf. Valentin sprang und flog und flog, doch komischerweise nicht durch die Luft und auch nicht ins Wasser. Es war keins von beiden, blau zwar, weit entfernt auch ein Licht, aber nicht von dieser Welt. Valentin merkte nicht, wie ihn Josef nach oben zog, über die Mauer zerrte und auf der Brücke ablegte wie einen frisch geangelten Fisch. Er hörte nicht, wie die Frauen herbeieilten, Lena durchdringend schrie und Prior Balduin lautstark seinen Tod verkündete. Zum Glück bekam er auch nicht mit, wie der Hardenberger sich auf seine Brust kniete und ein Schwall Wasser aus seinem Mund spritzte. Doch dann war es Bruder Thomas, der abwechselnd auf seinem Brustkorb herumdrückte und ihm seinen Atem in die Luftröhre zwang. Mit einem Ruck kehrte Valentin in seinen schmerzenden Körper und in sein ungewisses Schicksal zurück. Der Ort, an dem er gewesen war, hatte ihm besser gefallen. Nichts hatte ihm da weh getan, er hatte auch nicht gefroren, und es hatte eine wohltuende Stille geherrscht. Hustend und spuckend kam er zu sich, drehte sich auf den Bauch und erbrach den halben Neckar.
    »Das war so nicht abgemacht«, schrie Balduin.
    »O doch, mein Freund«, sagte Prior Johannes leise.
    Das Wasser hatte sein Opfer angenommen.

20
    Lena saß ganz allein in der Werkstatt und kratzte blaue Blätter ins Schwarz, eine Technik, die Lionel ihr vor seiner Abreise noch gezeigt hatte. Sie hatte den ganzen Hintergrund des Pfingstbilds auf blauem Glas geschwärzt. Die feinen Blattranken wurden mit Akribie und Feingefühl ausgekratzt. Eigentlich freute sie sich darüber, wie leicht ihr die Arbeit von der Hand ging. Aber heute reichte

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