Die Himmelsmalerin
ihre Konzentration nicht weit.
Sie hatte nicht gewusst, dass man ein Loch im Herzen haben konnte. Seit Lionel fort war, war eine Leere in ihr eingekehrt, die keine Tätigkeit der Welt vertreiben konnte. Vor zwei Wochen war er mit unbekanntem Ziel aufgebrochen, und jeden Tag wurde das Gefühl stärker, dass er ein Stück von ihr mitgenommen hatte. Kein Zweifel, sie sehnte sich nach ihm mit jeder Faser ihres Herzens. Und das, obwohl Valentin bei den Franziskanern in Sicherheit war. Eigentlich müssten ihre Probleme damit gelöst sein, aber so fühlte sie sich nicht.
Oft fand sie den ganzen Tag über keine Ruhe, lief von der Küche in die Werkstatt und von dort in den Pferdestall, wo Bonne ganz alleine stand. Wasser, Futter und ein paar tröstende Worte für die Stute, die sich sicher fast so einsam fühlte wie sie selbst – dafür hatte Lena immer Zeit. Nur gut, dass der Anstetter sich nicht blicken ließ. Seit dem Tag, als sie glaubte, ihn vor dem Fürstenfelder Pfleghof erkannt zu haben, war er nicht wieder aufgetaucht.
Wenn sie nur nicht auch noch die ganze Werkstatt organisieren musste, durcheinander wie sie war! Denn Heinrich Luginsland lag seit seinem Besuch in Wimpfen krank im Bett. Er klagte über Enge in der Brust und ein unregelmäßiges Klopfen des Herzens. Renatas Kräuterauszüge halfen nicht richtig. Vielleicht sollten sie doch Bruder Thomas konsultieren, wie die Apothekerin geraten hatte. Aber Meister Heinrich war störrisch wie immer und wollte keinen Arzt. Und so war Lena dafür verantwortlich, die Lehrbuben und den Altgesellen so sinnvoll wie möglich zu beschäftigen. Heute hatte sie sie zum Glasofen geschickt, um ihn für den nächsten Brand zu säubern und vorzubereiten. Außer dem Chorfenster für die Franziskanerkirche war die Bildtafel mit dem Thron Salomonis für das Zisterzienserkloster Bebenhausen der einzige Auftrag. Das war viel zu wenig. Wenn das Geld, das vom Glasfenster der Franziskaner für die Werkstatt Luginsland abfiel, nicht bald kam, wäre ihre Geldschatulle sicher leer bis zu dem Hund, der auf den Grund gezeichnet war.
Nachdenklich kratzte Lena ein weiteres Blatt aus, so dass der Hintergrund des Pfingstbildes wie eine durchbrochene Spitze wirkte. Es war eines der schönsten, fand Lena. Die Apostel scharten sich um Maria, die als Teil der Gruppe und doch herausgehoben im Zentrum thronte. Sie schaute frontal aus dem Bild heraus, ihr fein gezeichnetes Gesicht war Lionel besonders ausdrucksvoll gelungen. Wie üblich trug sie ein rotes Kleid und einen blauen Mantel, für deren Faltenwurf und Schattierung der Meister selbst gesorgt hatte. Die Heiligen, die sie umgaben, drehten ihr die Gesichter teilweise im Profil, teilweise im Halbprofil zu. Von einer Taube, die ganz genau im Zentrum des Bildes saß, etwas oberhalb der Mitte, gingen Strahlen des Heiligen Geistes aus, die auf jeden der Apostel fielen. Gottes Gnade für alle Menschen. Wie wunderbar Lionel zeichnen konnte!
Mehrere Glasbilder waren jetzt fast fertig und warteten auf den letzten Brand. Lena erhob sich und ging zu den Fenstern hinüber, die in feine Leintücher verpackt waren. Nur das oberste lag offen da, Daniel in der Löwengrube. Nachdenklich zog sie mit dem Zeigefinger die Umrisse der Gesichter nach. Jedes einzelne war ein Meisterwerk. Noch nie, auch nicht in den vielen Fenstern der Stadtkirche St. Dionys, hatte sie so satte Farben und eine so wahrhaftig erzählte Geschichte gesehen. Das Leben des Gottessohns hatte der Meister mit einem kräftigen Blau hinterlegt, der Farbe des Himmels. Sein Gekreuzigter hing an einem Lebensbaum mit grünen Blättern. Die Idee, den Tod Christi mit einem Symbol des Lebens zu verbinden, kam zwar von Bruder Thomas, aber die Pflanze hatte Lionel im Süden selbst gesehen. Die vielen Szenen aus dem Alten Testament, die das Leben des Heilands rechts und links ergänzten, waren rot oder rotviolett hinterlegt. Der violette Bildgrund war meine Idee, dachte Lena zufrieden. Kilians Gesicht hatte sich so verfärbt, als sie ihn nach der Keuschheit der Mönche befragt hatte. Nur eines wunderte sie. Die Bilder wiesen kaum Gelb auf. Eigentlich sehnten sie sich nach dem Strahlen der Sonne, dachte sie, so wie ich mich nach Lionel, aber die Farbe kam nur in wenigen Flächen vor. Stattdessen befanden sich an einigen Stellen durchsichtige Glasfragmente, die sicher nicht so bleiben konnten. Vor allem die Haare und die Heiligenscheine der Personen nicht. Unwillkürlich fragte sie sich, ob er sie mit
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