Die Himmelsmalerin
Gefahr bringen?«, polterte Lionel.
Er wollte sie fortziehen, aus der Reichweite der Hufe, aber Lena stand da wie festgewachsen und konnte die Augen nicht von dem Reiter abwenden, über dessen Gesicht plötzlich ein Lächeln glitt. Er entblößte sein weißes Wolfsgebiss und deutete eine Verbeugung an, die nur Lena galt. Sie schluckte. Plötzlich wurde sie so schlaff wie eine Stoffpuppe, die Knie knickten unter ihr weg, und sie ließ sich von Lionel fortziehen, zurück zu Renata, die einen zufriedenen und unverletzten Streuner auf dem Arm hielt. Lionel packte sie und schüttelte sie, bis ihre Zähne klapperten.
»Warum muss man Euch ständig das Leben retten!« Seine Augen blitzten vor Zorn. »Morgens, mittags, abends und erst recht um Mitternacht. Aber was tut Ihr, wenn mal kein Retter zur Verfügung steht?«
Lena wollte protestieren. Den gestrigen Überfall hatte sie doch wohl kaum provoziert. Aber Renatas sanfte Hand legte sich auf seinen Arm. »Lasst es gut sein! Lena wollte nur Streuner retten.«
Dieser fing wie auf Kommando an zu fiepen.
»Mistköter!«, fluchte Lionel, drehte sich um und stapfte davon. Renata hakte Lena unter.
»Muss dieser Mann immer so zornig werden?«, beschwerte sie sich.
Doch ihre Freundin lachte nur leise, nahm sie am Arm und zog sie mit sich.
18
Als Valentin Lena mit dem burgundischen Glasmaler durch die Tür kommen sah, brach sein Herz zum zweiten Mal. Er kannte sie gut genug, um zu sehen, was sie für den Fremden empfand. Trotzdem lag sie einen Moment später in Valentins Armen. Ihre Haare waren seidenweich und dufteten nach Renatas Lavendelseife, und ihr Körper war seinem so nah, dass er dachte, für diesen Augenblick hatten sie sich gelohnt, diese endlosen Tage, an denen er sich hier vergraben hatte, immer die Spürhunde des Herzogs auf den Fersen.
»Ich bin so froh«, flüsterte sie.
»Und ich erst.« Er strich ihr eine lange Haarsträhne aus dem Gesicht. »Danke, dass du mich nicht aufgegeben hast.«
Sie hatte für ihn gekämpft, die ganzen Wochen lang, hatte sich gegen die ganze Stadt aufgelehnt und dabei sogar ihren guten Ruf aufs Spiel gesetzt.
Renata nickte ihm zu und begann dann mit Lenas Hilfe, die Gäste zu bewirten. Am Tisch saß Prior Johannes und schaute sich neugierig die Heilkräuter an, die akribisch geordnet an der Decke hingen und trockneten. Bruder Thomas hatte sich auf die Bank gesetzt. Lionel Jourdain schwieg, ließ sein Kurzschwert umgegürtet und setzte sich dazu.
Lena und Renata verschwanden in der Küche und trugen eine Vesper aus frischem Brot, Käse, Räucherwurst und Eiern auf. Dazu servierten sie den ersten Traubenmost aus Renatas kleinem Weinberg. Franz schnappte sich ein Brot, das ihm der Franziskaner mit Käse belegte. Renata runzelte die Stirn, als sie die beiden zusammen sah, sagte aber nichts.
Die ganze Zeit war Valentin in ihrem Haus sicher gewesen. Welch großes Risiko war die Apothekerin für ihn eingegangen! Als Gegenleistung dafür hatte er sich nützlich gemacht, Renatas Dach und ihre Fensterrahmen repariert, ihren Brunnen gesäubert, den Garten umgegraben und ihre Trauben und Äpfel gepflückt. Renatas Kate war ein sicheres Versteck gewesen, bis der Hardenberger vor einiger Zeit aufgetaucht war und zu schnüffeln begonnen hatte. Jeden Tag stand er vor der Tür und bat sie um Hilfe. Mal brauchte er eine Salbe für die Schürfwunde, die sich sein Pferd im Wald zugezogen hatte, mal hatte einer seiner Männer einen Blasenkatarrh, mal ein verstauchtes Bein. Aber immer schaute er unangemeldet und plötzlich vorbei, ließ seine Blicke neugierig durch den Raum schweifen und überprüfte die Bohlen des Fußbodens auf ihre Haltbarkeit. Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er das Kellerverlies entdeckt hätte, das Renatas Gemahl noch zu Lebzeiten zum Schutz gegen die Württemberger eingebaut hatte. In den letzten Tagen hatte sie schon frühmorgens Ausschau nach dem ungebetenen Besucher gehalten, hatte mit müden Augen den Hang in Richtung Esslingen abgesucht, ob er sich mit seinen Männern vielleicht schon an den Aufstieg machte. Kein Wunder, dass Renata dem Druck nicht mehr standgehalten hatte. Und Valentin selbst war es langsam egal, ob er lebte oder starb. Heute Morgen war das Maß voll gewesen. Als er Renata gestanden hatte, dass er plante, sich zu stellen, war sie in die Stadt hinuntergewandert und hatte Hilfe geholt. Valentin wusste nicht, was er davon halten sollte. Sie hatte so viele Leute mitgebracht.
Nach dem Essen
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