Die Himmelsmalerin
leise.
Sie schluckte und stellte das Tablett auf seine Knie.
»Vater.« Lenas Stimme war ganz erstickt von Tränen. Der Vater nahm ihre Hand.
»Nicht weinen.« Er legte seine Hand auf ihre. »Mein Leben war so gut.« Zwischen jedem Satz musste er tief Luft holen. »So reich.« Und wieder ein Atemzug. »Auch dank dir.«
War das ein Abschied? Nein, das konnte nicht sein, nicht so plötzlich und so früh. Ihr Vater war gerade eben fünfundfünfzig. Sie musste etwas tun, um ihm zu helfen, aber was?
Mühsam versteckte Lena ihre Angst hinter einer Maske der Geschäftigkeit und deckte den Suppenteller auf.
»Was bringst du mir Gutes?«, fragte der Vater.
»Schau, eine Rindfleischbrühe mit viel Fleisch und Flädle, wie sie nur Martha machen kann.« Sie drückte ihm den Löffel in die Hand.
»Wer soll das nur alles essen?« Er schüttelte den Kopf.
Aber sie sah ihn so ermutigend an, dass er nicht anders konnte, als sich Löffel um Löffel in den Mund zu schieben.
»Ah, Lena«, sagte er, als der Teller fast leer war. »Ich schaff den Wecken wohl nicht mehr.«
»Wir können ihn uns teilen.« Lena hatte nicht vor, so schnell schon klein beizugeben, brach das Brot in der Mitte durch und schob sich einen Brocken in den Mund. Hauptsache, sie achtete darauf, dass ihr Vater etwas aß.
Schließlich war das Tablett fast leer. Nur die Krapfen waren übrig geblieben. Lena stellte sie dem Vater auf den Nachttisch, falls er später wieder Hunger bekam. Gerade wollte sie sich umwenden, als er sie noch einmal zurück an den Bettrand rief. Sie setzte sich und nahm seine Hand. Seine Linke legte sich unwillkürlich auf sein Herz.
»Lena«, sagte er leise.
»Ja, Vater!«
»Es ist so schön, dass du zeichnen kannst. Du darfst nicht denken, dass ich dich ausnutzen wollte. Als ich sah, wie begeistert du ans Werk gehst, war es vielmehr, als sei ich selbst wieder jung.«
»Schon gut«, sagte Lena und dachte daran, dass er selbst es ihr auf Anstetters Weisung hin verboten hatte. So lange, bis Lionel ihre Verbannung in die Küche beendet hatte. Aber sie sprach diese bitteren Gedanken nicht aus.
»Es tut mir leid«, sagte ihr Vater.
Da waren sie wieder, die Tränen, die sie gerade eben so erfolgreich zurückgedrängt hatte. Seine Hand war so schwach, dass er ihre kaum drücken konnte. Heinrich machte eine Pause und holte rasselnd Luft.
»Dass ich den Anstetter ins Haus geholt habe.« Wieder zog er Luft in seine Lungen. »Er ist kein guter Mann. Ungerecht, selbstsüchtig, und ob er als Glasmaler etwas taugt, weiß auch keiner.« Das war ein langer Satz, nach dem ein tiefer Atemzug fällig war.
»Aber Vater«, sagte sie hilflos. »Was hätten wir denn anderes tun sollen. Die Anstetters sind unsere Konkurrenz. Und wenn wir sie an uns binden, schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe.«
Lena wunderte sich, dass sie Heinrichs Entschluss mit seinen eigenen Argumenten verteidigte. Ihr Vater trug an der Misere die geringste Schuld. Schließlich hatte er nicht wissen können, was der Anstetter für ein Widerling war.
»Aber er darf dich nicht schlagen.« Heinrichs Gesicht verfärbte sich rot, und die Linke drückte stärker auf sein Herz.
»Vater«, rief Lena. »Geht es dir wieder schlechter?«
»Nein, nein.« Er schüttelte den Kopf und wagte ein Lächeln, das Lena wie das Grinsen eines Totenschädels erschien. »Mach dir keine Sorgen um mich«, fuhr er fort.
Sie streifte seine Wange, die stoppelig und ein bisschen feucht war, mit den Lippen. Morgen früh würde sie den Vater, der immer bartlos ging, rasieren.
Sie fasste den Entschluss, als sie auf der obersten Treppenstufe stand. Bruder Thomas musste her, jetzt gleich, egal, ob der Vater das wollte, und auch egal, ob sein Besuch ihre derzeitigen Finanzen überstieg.
»Nun, Jungfer Lena, was macht die Mördersuche?« Thomas von Mühlberg hob seine Feder und spitzte sie mit dem Messer nach. Lena stand in seiner Studierstube, die direkt neben der Krankenstation des Klosters lag. Nur eines der schmalen Betten in dem luftigen Krankensaal war belegt. Ein uralter Pater lag darin und erzählte von der Zeit, als König Rudolf von Habsburg noch an der Macht war. Bruder Thomas stand, einen dicken Folianten vor sich, an einem hohen Schreibpult, das von hinten mit dem hellen Licht des Nachmittags beschienen wurde. Lena schöpfte Hoffnung. Wenn er so viel Zeit für sein Studium aufbringen konnte, dann hatte er sicher etwas davon für ihren Vater übrig. An den Mord an Pater Ulrich hatte sie in
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