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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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verlieren, was sie haben. Es sind doch deine Freunde.« Fast gewaltsam riss sie den Blick von dem brennenden Haus los und wandte sich zu ihrer Mutter um. Der Wagen schoss mittlerweile mit einer Geschwindigkeit dahin, die sie dem behäbigen Gefährt niemals zugetraut hätte, und schien sogar immer noch schneller zu werden, sodass es Leas ganzer Aufmerksamkeit und Geschicklichkeit bedurfte, die Zügel zu halten und die Pferde daran zu hindern, vollends durchzugehen, was zweifellos zu einer Katastrophe geführt hätte. Ihr Blick war starr nach vorn und doch zugleich in die ferne Vergangenheit gerichtet, und für die Dauer eines Herzschlags begriff Arri das ungeheure Ausmaß der Katastrophe, die ihre Heimat vernichtet und ihr den Vater genommen hatte. Das Gefühl eines schrecklichen Verlusts schien Gegenwart und Vergangenheit miteinander in einem einzigen Feuerrad zu verschmelzen, und ein verzweifeltes Schluchzen entrang sich ihrer Brust, als sie an all die unschuldigen Menschen dachte, die damals wie heute gestorben waren.
    Jetzt, da das Haus hinter ihnen immer heller und heller leuchtete wie ein riesengroßer Scheiterhaufen, schien die Dunkelheit vor ihnen noch intensiver zu werden. Alles, was weiter als einen halben Steinwurf vor den Pferden lag, war einfach verschwunden. Es war, als rasten sie auf eine schwarze Wand zu. »Es sind doch deine Freunde«, sagte Arri noch einmal. »Wir müssen ihnen helfen.«
    »Dazu ist es zu spät«, antwortete Lea, ohne den Blick von der Dunkelheit zu lösen, die vor ihr lag. Arri kam es vor wie ein Omen; als wollten ihnen Sarns Götter der Finsternis klarmachen, dass von nun an alles, was vor ihnen lag, düster und gefährlich sein würde. »Vier weitere Hände retten sie jetzt auch nicht mehr.«
    Natürlich entsprach das der Wahrheit, dachte Arri niedergeschlagen. Das Feuer war längst außer Kontrolle geraten und würde das Haus verzehren, ganz egal, wie sehr sich seine Bewohner auch dagegen wehrten. Aber darauf kam es nicht an. Ihre Mutter hatte ihr erzählt, dass Targan und seine Familie ihre Freunde seien, und man ließ seine Freunde nicht einfach im Stich.
    Das Schaukeln des Wagens nahm noch zu, aber er wurde nun doch wieder langsamer, während er den gewundenen Pfad hinaufrollte, den sie erst vor kurzem heruntergekommen waren. Als sie den Hügelkamm erreichten, begann sich der Himmel über den Bergen im Osten allmählich grau zu färben. Und dennoch hatte Arri das Gefühl, dass die Dunkelheit, die vor ihnen lag und in die sie hineinrollten, noch finsterer geworden war.

23
    Noch bevor die Sonne ganz aufgegangen war, bekam sie Fieber. Ihre Mutter untersuchte sie flüchtig und kam zu dem Schluss, dass es wohl größtenteils ihre Erschöpfung und die Vielzahl kleinerer Schrammen und Blessuren waren, die sich auf diese Weise Ausdruck verliehen, aber Arri spürte, dass sie das nur sagte, um sie zu beruhigen. Ihr Fieber stieg auch weiter, und schon bald sank sie in einen Dämmerzustand zwischen Wachsein und wirren Phantasien; sie nahm nicht mehr wirklich wahr, was rings um sie herum oder gar mit ihr geschah, fand sich nur irgendwann lang ausgestreckt und in eine Decke gehüllt auf der Ladefläche des Wagens wieder. Später dann wachte sie auf, weil sie spürte, dass sich irgendjemand an ihr zu schaffen machte, ohne dass sie genau sagen konnte, wer oder wie, und dann verlor sie wohl endgültig das Bewusstsein, denn das Nächste, woran sie sich erinnerte, war, dass es dunkel war und ihre Mutter ihr eine Schale mit einer kalten, bitter schmeckenden Flüssigkeit an die Lippen setzte und sie zwang, diese hinunterzuwürgen.
    Sie schlief die ganze Nacht und auch noch bis spät in den darauffolgenden Nachmittag hinein, und als sie endlich wieder erwachte, da tat sie es nicht von selbst, sondern von so rasenden Kopfschmerzen geweckt, wie sie sie noch nie zuvor verspürt hatte. Mattes Sonnenlicht drang durch ihre noch geschlossenen Lider, und der Wagen schaukelte so sacht und regelmäßig unter ihr, dass es eigentlich beruhigend und einschläfernd hätte sein müssen - aber ihr wurde nun eher übel davon. In ihrem Mund war ein grässlicher Geschmack, und sie hatte das Gefühl, nicht mehr einen einzigen Flecken am Körper zu haben, der nicht auf die eine oder andere Weise wehtat.
    Anfangs versuchte Arri mit aller Kraft, wieder einzuschlafen, und sei es nur, um diesem durch und durch unangenehmen Augenblick zu entkommen, aber natürlich erreichte sie damit eher das Gegenteil; je mehr sie sich zu

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