Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
hatten.
    Ihre Mutter rutschte mehr vom Wagen, als dass sie hinunterstieg, und ging mit hängenden Schultern an den Pferden vorbei nach vorn, um die Zügel um den Stamm der großen Buche zu binden. Ihre Bewegungen waren fahrig und ließen einen gut Teil ihrer gewohnten Sicherheit und Genauigkeit vermissen, aber Arri entging dennoch nicht, auf welch besondere Weise sie die Tiere anband: Mit einem Knoten, den man mit einem einzigen, entschlossenen Ruck wieder lösen konnte, ebenso wie sie den Wagen nicht in gerader Linie unter den Baum gefahren, sondern eigens einen weiten Bogen geschlagen hatte. Die weit ausladenden Äste der Buche überspannten nicht die ganze Ladefläche; was durchaus möglich gewesen wäre, denn sie war allemal groß genug dafür. Stattdessen stand der Wagen so, dass sie sofort weiter fahren konnten, wenn es sein musste, ohne umständlich zurücksetzen oder rangieren zu müssen.
    Man hätte es auch anders ausdrücken können, dachte Arri. Ihre Mutter schien sich auf eine schnelle Flucht vorzubereiten. Aber warum?
    Sie wollte ebenfalls vom Wagen klettern, aber Lea machte eine müde, abwehrende Geste. »Ich sehe nach, ob alles ruhig ist. Du bleibst inzwischen hier und rührst dich nicht von der Stelle.«
    Arri warf ihr einen schrägen Blick zu. Wohin sollte sie schon gehen, in ihrem Zustand? Ebenso wort- wie ausdruckslos sah sie ihrer Mutter nach, die mit müde wirkenden, aber dennoch schnellen und so gut wie lautlosen Bewegungen im Unterholz verschwand. Sie verstand auch nicht genau, was ihre Mutter überhaupt vorhatte. Sie befanden sich auf der anderen Seite des verbotenen Waldes, den die Dorfbewohner wie den Ort der Verdammnis mieden, den Sarn so anschaulich zu beschreiben verstand - wer sollte wohl ausgerechnet jetzt und noch dazu so spät am Tage rein zufällig hier auftauchen, um sie zu überraschen?
    Immer vorausgesetzt, Lea hatte die Wahrheit gesagt und es gab außer den drei unglückseligen Kriegern, die Nor ihnen nachgeschickt hatte, tatsächlich niemanden, der von ihrer geheimen Reise oder diesem Ort hier wusste.
    Ihre Gedanken bewegten sich schon wieder auf Pfaden, die ihr nicht gefielen, und sie brach diese Überlegung hastig ab und konzentrierte sich stattdessen auf ihre Umgebung. Sie erkannte diesen Ort nicht wieder. Zwar hatte ihre Mutter ihr gesagt, dass es der jenseitige Rand des verbotenen Waldes war, dort, wo er an die große Grasebene grenzte, auf der sie auf Nachtwind und seine Herde getroffen waren, aber es hätte ebenso gut auch jeder andere, ähnlich aussehende Wald auf der Welt sein können. Von den Pferden jedenfalls war keine Spur zu sehen, und Arri erblickte auch sonst keinerlei vertraute Wegmarken, was aber nichts heißen musste - schließlich war sie nur wenige Male hier gewesen, und darüber hinaus gab es nicht den geringsten Grund, ihrer Mutter zu misstrauen oder ihr Wort anzuzweifeln. Dann wurde ihr klar, dass allein der Umstand, diesen Gedanken zu haben, schon wieder ein Zweifel an sich war, und das Nagen ihres schlechten Gewissens nahm weiter zu.
    Was war nur mit ihr los? Sicherlich hatte Lea ihr in den letzten Tagen und Wochen Anlass genug gegeben, ihr nicht mehr vorbehaltlos alles zu glauben, was sie sagte, aber allmählich verfiel sie in das genaue Gegenteil und zog grundsätzlich alles in Zweifel, was sie sagte; und manchmal sogar das, was sie nicht sagte.
    Arri schüttelte den Kopf, ärgerlich auf sich selbst, brach ihre ohnehin sinnlose Betrachtung des Waldrandes und der schwarz daliegenden Grasebene ab, und kletterte mit mühsamen, kleinen Bewegungen zurück auf die Ladefläche des Wagens, um sich auf dem Lager aus Fellen und Decken auszustrecken, auf dem sie die letzten drei Tage verbracht hatte. Es stank nach kaltem Schweiß und anderen, noch unappetitlicheren Dingen, aber das war ihr plötzlich gleich. Obwohl sie den Großteil des Nachmittages, wenn schon nicht schlafend, so doch in einem Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wachsein verbracht hatte und auch immer wieder kurz eingenickt war, fühlte sie sich mit einem Mal furchtbar müde, und auch ihre Hand und die gebrochenen Rippen, die Lea so fest verbunden hatte, dass sie kaum atmen konnte, schmerzten nun wieder. Das Mittel, das ihre Mutter ihr auf dem Weg hierher immer wieder eingetrichtert hatte, hatte vielleicht das Fieber besiegt und ihrem Körper geholfen, die Verletzungen zu heilen, die sie sich zugezogen hatte, aber sie spürte nun am eigenen Leib, was Lea ihr über die Heilkräfte der Natur

Weitere Kostenlose Bücher