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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Mühe gab, es zu verhehlen. »Es ist nicht Euer Blut, das ich will, Nor«, Sarn maß den um einen Kopf größeren Hohepriester dabei mit einem Blick, der das genaue Gegenteil auszusagen schien. »Wir alle verehren und schätzen Euch und achten Eure Macht und vor allem Eure Weisheit. Doch nun gilt es, den Willen der Götter zu befolgen.«
    Und noch einmal spürte Arri, wie die Spannung ringsum stieg. Es war ein Gefühl wie unmittelbar vor dem Ausbruch eines Gewitters. Etwas schien in der Luft zu knistern, unsichtbar, aber so spürbar wie das Kribbeln zahlloser winziger Insektenbeine auf der Haut.
    Der Hohepriester blieb Sarn die Antwort für eine geraume Weile schuldig. Er maß ihn nur mit einem sonderbaren, schwer zu deutenden Blick, dann schüttelte er noch einmal traurig den Kopf und sah wieder in den Himmel hinauf. Schließlich seufzte er tief. »Es ist Zeit«, murmelte er. »Die Sonne steht hoch.«
    »Zeit wofür?«, erkundigte sich Sarn misstrauisch.
    »Zu den Göttern zu sprechen und ihren Rat zu erflehen«, antwortete Nor. Ein müdes Lächeln erschien auf seinen Lippen und verschwand wieder, als er den Blick von der grellen Sonnenscheibe am Himmel losriss und sich wieder dem Schamanen zuwandte. »Vielleicht hast du Recht, mein Freund«, sagte er sanft.
    Von allen Reaktionen, die er erwartet hatte, schien das für Sarn die überraschendste zu sein, denn für einen Moment wirkte er einfach nur fassungslos. Dann machte ein Ausdruck von Misstrauen in seinen Augen Platz. »Ihr.?«, begann er.
    »Vielleicht haben wir zu lange in Frieden gelebt, und vielleicht habe ich tatsächlich verlernt, die Stimmen der Götter richtig zu deuten«, unterbrach ihn Nor. »Niemals darf auf diesem heiligen Boden Blut vergossen werden, Sarn, es sei denn das eines Opfers, nach dem die Götter verlangen. Aber vielleicht hast du ja Recht, und es ist das Leben dieses Mädchens, das sie begehren. Lass uns die Götter gemeinsam fragen, und wir werden sehen, wen von uns sie erleuchten.«
    Sarn wirkte noch immer misstrauisch, hatte auch ebenso sichtlich mit seiner Überraschung zu kämpfen. Und auch Arri glaubte nicht, dass Nor einfach so aufgeben würde. Was immer der Hohepriester vorhatte, es konnte kaum das sein, was Sarn erwartete.
    Der greise Schamane schien für sich zu dem gleichen Schluss gekommen zu sein, denn mit einem Mal wich die Überraschung auf seinem Gesicht Trotz und Entschlossenheit, und er setzte dazu an, etwas zu sagen, doch diesmal kam ihm Nor zuvor. Rasch drehte sich der Hohepriester um und machte eine gebieterische Geste mit seinem Stab, und das halbe Dutzend Dienerinnen, das die Opferschalen und das Holz gebracht hatten, trat wieder näher und begann das Reisig mit geschickten Bewegungen vor ihm auf der Oberseite des Altars aufzuschichten, bis ein spitzer Kegel entstanden war, der Nor fast überragte. Auch die Opferschalen wurden rechts und links davon aufgebaut, zwei Schalen mit Wasser, zwei mit Nahrung, dann entzündete eine der jungen Frauen den Inhalt einer weiteren, kleineren Schale, der aber nur einen kurzen Augenblick mit heller Flamme brannte, bevor sie in dunkle Glut überging, aus der ein zäher, blaugrauer Rauch aufstieg. Nor senkte seinen Stab, und irgendwo, so geschickt versteckt und postiert, dass man seinen Ursprung weder erkennen noch mit dem Gehör orten konnte, hob ein dumpfer, rhythmischer Trommelschlag an.
    »Lasst uns zu den Göttern sprechen«, sagte Nor nun mit lauter, weit tragender Stimme. Die unruhige Bewegung auf dem Platz nahm zu, war nun aber von gänzlich anderer Art und strahlte mehr Furcht als Angriffslust aus, und Arri konnte fast körperlich spüren, wie sich etwas in der Menge, die sie umgab, veränderte. Vielleicht hatte Sarn noch vor Augenblicken eine gar nicht mal geringe Aussicht gehabt, die Menschen hier auf seine Seite zu ziehen, doch nun war sie vorbei.
    Aber selbstverständlich gab er nicht so einfach auf. Für einen ganz kurzen Moment noch wirkte er verwirrt, zornig und hilflos, dann aber presste er trotzig die Lippen aufeinander und nickte. »Dann lasst die Götter entscheiden.«
    Der Trommelschlag wurde lauter. Auch die anderen Priester traten näher an den Altar heran und begannen die gleiche Art von monotonem, an- und abschwellendem Singsang, den Arri schon am Morgen unten im Haus gehört hatte. Sarn rührte sich im allerersten Moment nicht von der Stelle, obwohl die Männer in ihren Reihen einen freien Platz für ihn gelassen hatten, sondern starrte Nor jetzt unverhohlen

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