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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ehrerbietig den Kopf, aber irgendwie gelang es ihm, selbst diese Geste herausfordernd wirken zu lassen. Arri spürte, wie die Spannung ringsum stieg. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass sich etwas entladen wollte. »Vielleicht haben wir zu lange auf Euch gehört, Nor«, fuhr er fort, unbeschadet seiner demütigen Haltung und dem, was er gerade selbst gesagt hatte. »Ihr seid ein guter Herrscher, Nor. Ihr habt uns viele Sommer lang weise und erfolgreich geleitet, unseren Wohlstand gemehrt und über die Sicherheit unseres Volkes gewacht. Aber vielleicht seid Ihr ja jetzt schwach geworden.«
    Diesmal war es kein unruhiges Raunen, das durch die Menschenmenge lief, sondern ein erschrockenes Zusammenfahren, als hielten all diese Leute wie auf einen unhörbaren, gemeinsamen Befehl hin gleichzeitig den Atem an. Arri konnte aber auch spüren, wie rings um sie herum eine verstohlene, dennoch aber sehr zielstrebige Bewegung einsetzte. Gingen die Männer, die Sarn mitgebracht hatte, in Position? Wurde sie nicht nur Zeuge einer Kraftprobe, sondern gar eines. Aufstandes?
    Sie hoffte es fast. Wenn es tatsächlich zu einem Kampf käme, dann stünden ihre Aussichten gar nicht so schlecht, in dem allgemeinen Durcheinander zu entkommen. Arri hatte schmerzhaft lernen müssen, dass all die schmutzigen kleinen Listen und Finten, die ihre Mutter ihr beigebracht hatte, sie nicht wirklich in die Lage versetzten, einen erwachsenen Mann zu besiegen oder gar einen erfahrenen Krieger -aber in dem Durcheinander, das hier möglicherweise gleich losbrechen würde, hätte sie trotzdem eine Möglichkeit zu entkommen - und die eine oder andere böse Überraschung für jeden parat, der glaubte, leichtes Spiel mit ihr zu haben.
    »Ich bin also schwach geworden«, wiederholte Nor in fast nachdenklichem Ton. »Ist es das, was du sagen willst, Sarn? Sag. willst du meinen Platz?«
    »Nicht schwach«, antwortete Sarn. »Aber weich. Ihr seid zu sanft, Nor. Euer Herz ist zu groß.« Er deutete erneut herausfordernd auf Arri, ballte die Hand dabei aber zur Faust. »Sie und ihre Mutter haben uns verraten. Sie haben uns dazu gebracht, unseren Glauben und unsere Sitten zu vergessen und uns neuen Dingen zuzuwenden, und die Götter sind zornig. Sie verlangen nach Blut!«
    »Nun, dann sollten sie es auch bekommen«, sagte Nor.
    Falls Sarn die kaum noch verhohlene Drohung in diesen Worten hörte, so überging er sie. »Die Götter haben zu mir gesprochen, und ich sage Euch, dass wir dieses Kind töten müssen. Auf der Stelle!«
    »Das ist seltsam, Sarn«, erwiderte Nor, immer noch auf mittlerweile kaum noch verständliche Art ruhig. »Denn mir haben sie das nicht gesagt. Willst du mich einen Lügner nennen?«
    »Nein«, antwortete Sarn. »Aber vielleicht habt Ihr sie nur nicht richtig verstanden. Manchmal ist es nicht leicht, die Worte der Götter zu deuten. Vielleicht haben Euch zu viele Jahre des Friedens und Wohlergehens weich werden lassen, Nor. Aber die friedlichen Jahre sind vorbei! Unser Volk braucht einen starken Herrscher.«
    Arri sah Rahn an, der nur ein kleines Stück hinter dem Schamanen stand und nun wie durch Zufall zwei Schritte zur Seite trat und dabei unter seinen Umhang griff. Sie vermutete, dass er eine Waffe dort verborgen hatte, aber sie konnte immer noch nicht einschätzen, auf welcher Seite Rahn nun stand. Auch die Krieger, die sie hierher begleitet hatten, spannten sich offensichtlich, und Arri konnte erneut spüren, wie eine unsichtbare, einzeln nicht wahrnehmbare Bewegung durch die Menge der Zuschauer ging. Hier und da blitzte Metall auf.
    »Mir ist schon vor einer geraumen Weile zu Ohren gekommen, dass du meine Worte in Zweifel ziehst und danach trachtest, an meine Stelle zu treten, Sarn«, sagte Nor. Er wirkte nicht wütend, sondern eher enttäuscht. »Aber ich wusste nicht, dass du so weit gehen würdest.« Für einen Moment schien er regelrecht in sich zusammenzusacken, als wiche mit einem Mal jede Kraft aus seinem Körper. Er stützte sich schwer auf seinen Stock und sah sich dann lange und aufmerksam und mit unübersehbarer Trauer auf dem Gesicht um. »Das hier ist heiliger Boden, Sarn. Noch nie wurde das Blut eines Menschen auf diesem Boden vergossen, wenn es denn nicht während einer Opferzeremonie geschah. Bist du wirklich bereit, die Männer, die du mitgebracht hast, an diesem Ort nach ihren Waffen greifen zu lassen?«
    »Nicht, wenn es nicht sein muss«, antwortete Sarn. Er wirkte nun doch angespannt, auch wenn er sich alle

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