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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nehmen lassen, bis zuletzt für sie Partei zu ergreifen. Jetzt kann er zusammen mit den anderen im Winter Schnee und Baumrinde fressen. Das geschieht dem Dummkopf ganz recht.«
    Arianrhod war viel zu verdattert, um auf diese Neuigkeit angemessen eingehen zu können. »Nor hatte ihnen noch eine letzte Nacht an eurem Feuer versprochen«, sagte sie hilflos.
    »Nor«, sagte Jamu betont, »ist tot. Sarn ist unser neuer Hohepriester, und er hat beschlossen, dass sie sofort gehen müssen.«
    »Das ist grausam«, sagte Arri, was ihr selbst ein bisschen lächerlich vorkam angesichts dessen, was ihr vermutlich bevorstand.
    Jamu lachte auch nur. »Es ist richtig. Sie sind zu nichts mehr nutze. Die Nahrung, die sie in dieser Nacht gegessen hätten, hätte uns vielleicht im nächsten Winter gefehlt, um ein Kind vor dem Verhungern zu bewahren. Wäre es nach mir gegangen, hätten wir sie auf der Stelle erschlagen, aber Sarn hat entschieden, Gnade walten und sie am Leben zu lassen. Vielleicht«, fügte er verächtlich hinzu, »ist das der Preis, den man zahlen muss, wenn man ein ganzes Volk führt. Man wird weich.«
    Sie hatten die Hügelkuppe fast erreicht, und Arri wollte den Weg zum Heiligtum einschlagen, doch Jamu schüttelte nur den Kopf und deutete nach links, den schmalen Trampelpfad entlang, den sie schon am vergangenen Morgen mit ihren Bewachern genommen hatte. Arri fiel erst jetzt auf, wie still es war. Irgendwo, weit entfernt, hörte sie die Stimmen von Menschen, die Laute von Tieren und andere Geräusche, aus dem großen Palisadenbau jedoch drang nicht der geringste Laut. Vielleicht erwartete Sarn sie ja wieder unten im Langhaus.
    Dann hatten sie die Hügelkuppe endlich erreicht, und als Arris Blick auf das Gelände an seinem jenseitigen Fuß fiel, blieb sie erschrocken stehen und sog die Luft zwischen den Zähnen ein. Die Menschenmenge, die unten auf sie wartete, war im Vergleich zum Vortag noch einmal um mindestens das Doppelte angewachsen. Sarn musste dem Beispiel seines Vorgängers gefolgt sein und Männer in alle umliegenden Dörfer ausgesandt haben, um möglichst viele Zuschauer herbeizubefehlen, die seiner endgültigen Machtübernahme beiwohnen sollten.
    Vielleicht aber auch etwas anderem.
    »Du bist überrascht, wie?«, fragte Jamu hinter ihr. Erstaunlicherweise verzichtete er darauf, die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen und ihr einen weiteren, derben Stoß zu versetzen, der sie zweifellos kopfüber den Hang hinunterbefördert hätte. Als sich Arri zu ihm umdrehte, gewahrte sie schon wieder dieses hässliche, boshafte Grinsen auf seinen Zügen, das diesmal jedoch eine andere Qualität hatte und ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
    »Du bist erstaunt, dass es so viele sind, nicht wahr?«, fragte er höhnisch. »Ich war selbst überrascht. Du musst entweder ganz besonders beliebt bei den Menschen sein oder ganz besonders verhasst. Jedenfalls sind sie nur deinetwegen gekommen.«
    »Meinetwegen?«, wiederholte Arri verständnislos.
    Jamu nickte heftig. »Sie sind gekommen, um deiner Hinrichtung beizuwohnen, Hexenkind. Was sonst?«
    Arri verbot es sich, irgendwelche Anzeichen von Schrecken oder gar Furcht zu zeigen, aber dem zufriedenen Ausdruck auf Jamus Gesicht nach zu schließen, gelang es ihr wohl nicht ganz. Im Gegenteil: Was er sah, das schien ihm derart zu gefallen, dass er sogar darauf verzichtete, sie mit einem weiteren Stoß oder Fußtritt zum Weitergehen aufzufordern, sondern es bei einer knappen, fast schon freundlich wirkenden Geste beließ. Arri hatte plötzlich einen bitteren, harten Kloß im Hals, an dem sie fast zu ersticken glaubte, als sie ihn herunterzuschlucken versuchte, aber sie ließ sich auch davon nichts anmerken, sondern drehte sich rasch um und warf sogar noch trotzig den Kopf in den Nacken, als sie weiterging.
    Sie tat zwar so, als sähe sie starr und ungerührt geradeaus, doch ihr Blick irrte insgeheim fahrig hin und her, und obwohl dies der denkbar ungünstigste Moment dafür sein mochte, erwog ein größer werdender Teil von ihr ganz ernsthaft den Gedanken, trotz allem einen Fluchtversuch zu wagen. Wenn es ihr gelang, Jamu irgendwie zu überraschen, wenn sie schnell genug war, und wenn ihr Bein und ihre verletzte Schulter ihr nur einen Moment lang die Treue hielten.
    Wenn. Arri schüttelte in Gedanken mutlos den Kopf und schalt sich selbst eine Närrin. Keines dieser Wenns würde funktionieren, und selbst wenn doch - wohin sollte sie sich schon wenden? Unter ihr war

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