Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
endgültig an der Hütte vorbei war, die ihm den Blick auf den Feuerplatz versperrt hatte. Sein rechter Fuß, den er gerade auf dem flach getrampelten Gras hatte absetzen wollen, verharrte in der Schwebe, sein Unterkiefer fiel herunter …
Der Feuerplatz war nicht so leer, wie er vermutet hatte, ganz im Gegenteil. Hier waren mehr als zwei Handvoll Menschen, allen voran Ragok, der vor den verkohlten Holzstücken stand, die – ungewöhnlich genug – noch nicht beiseite geräumt waren. Der Herrscher der Raker hatte die rechte Hand in seinem langen Bart vergraben, seine Finger spielten mit den Strähnchen, die so kunstvoll geflochten waren, dass man meinen konnte, er hätte sonst nichts zu tun. Zakaan erinnerte sich daran, dass er ihn zum letzten Mal so entgeistert hatte dastehen sehen, als er von Dragosz’ Verrat erfahren hatte.
Und er verstand auch, warum.
Vor ihm lag im Gras ein Mann mit dem Gesicht im Dreck, aus seinem Rücken ragte ein Pfeil. Neben dem Mann kniete eine Frau, die Tränen in den Augen hatte.
Der Schamane begriff gar nicht, was hier vorging. Wer war der Verletzte? Und warum hatte man ihn mit einem Pfeil niedergestreckt?
»Ach, Zakaan.« Ragok der Bezwinger erwachte aus seiner Erstarrung. »Gut, dass du da bist.«
Zakaans Kniescheibe machte einen kleinen Hüpfer, als er es wagte einen weiteren Schritt vorwärts zu machen, und diesmal hatte er das Gefühl, sie habe sich endgültig durch seine Haut gebohrt. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als stehen zu bleiben – und so wenig zu schwanken und so wenig von den Schmerzen auf seinem Gesicht zu offenbaren, wie es ihm nur möglich war.
»Was ist hier geschehen?«, fragte er mit rauer Stimme.
Ragok starrte ihn an, ließ dann die Hand sinken und wandte sich an die Frau.
»Ist er …«
Die Frau nickte. »Ja«, flüsterte sie so leise, dass Zakaan ihre Stimme kaum verständlicher als das Zwitschern eines Sperlings vorkam, »er ist …«
Das letzte Wort verstand Zakaan zwar nicht, aber als er den Schatten sah, der über Ragoks Gesicht wanderte, da wusste er auch so, was sie gesagt hatte: tot.
»Er muss schon längere Zeit tot sein«, fuhr die Frau etwas lauter fort, dann schluchzte sie auf, »sie haben ihn einfach erschossen!«
Der Bezwinger nickte. »Ja. Aber wer? Wer hat ihn denn mit einem Pfeil niedergestreckt? Und wann? Und wie kommt er hierher?«
Die Frau antwortete etwas, das Zakaan wieder nicht verstand. Mühsam humpelte er los, jeder einzelne Schritt war eine Qual. Bevor er den Feuerplatz erreichte, war Granartara schon an ihm vorbei. Sie eilte auf den Toten zu, schob die neben ihm kniende Frau beiseite und packte den Toten grob an den Schultern, um ihn dann mit einer schwungvollen Bewegung auf die Seite zu ziehen.
Zakaan glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er in das fahle Gesicht des Toten blickte. Es war kaum zu erkennen, so sehr wurde es von grünen Ranken umsponnen. Und doch wusste er sofort, wer es gewesen war: Sedak, einer der Männer, die Lexz begleitet hatten, um Urutark auszukundschaften.
Der Anblick traf Zakaan wie ein Faustschlag. Jeder Mann war wichtig, und Sedak war ein guter Mann gewesen, ein geduldiger Jäger und ein hervorragender Handwerker, der selbst mit dem einfachsten Steinwerkzeug noch wahre Wunder hatte vollbringen können. Zakaan würde um ihn trauern, wenn er die Zeit dafür fand.
Doch im Augenblick interessierte ihn nur eines: Wo waren Lexz und die anderen?
»Mein Sohn«, sagte Ragok, als hätte Zakaan diese Frage laut ausgesprochen, »ist nicht aufgetaucht. Auch keiner der anderen. Kannst du mir etwas dazu sagen, Schamane?«
Zakaan schluckte hart. Er hätte sogar recht viel dazu sagen können, doch er fürchtete, nicht die richtigen Worte zu finden. Ragok der Bezwinger klang ruhig und besonnen, und wie er so dastand und ihm fast versonnen entgegensah, hatte er etwas von einem tapsigen Bären. Doch Zakaan wusste, wie sehr dieser Eindruck trog. Der Gebieter über einen Haufen Verlorener, die schon mehr als einmal nur knapp dem völligen Untergang entgangen waren, hatte lediglich gelernt, sich zu beherrschen, wenn es darauf ankam. In seinem Inneren brodelte es jedoch, wie der Schamane spürte – und er konnte es ihm nicht einmal verdenken.
»Ich weißt nicht, wo dein Sohn ist«, antwortete Zakaan mit fester Stimme. »Aber ich spüre, dass er noch lebt.«
Ragoks Blick verfinsterte sich, und jetzt war er ganz die alte Geierkralle , wie ihn Granartara und ein paar andere Holzköpfe hinter seinem
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