Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
Männer streiten … und niemals wirklich um uns!«
Isana war so erregt, dass jeder Widerspruch zwecklos gewesen wäre. Man hätte meinen können, sie hätte gerade eine enttäuschte Liebe hinter sich oder sonst irgendetwas erlebt, das sie gegen die Männerwelt aufbrachte. Wenn das so wäre, hätte Arri eigentlich davon erfahren müssen. Aber sie konnte sich nicht daran erinnern, dass sich Isana in letzter Zeit auf irgendeinen Mann eingelassen hätte, ganz im Gegenteil. Als hübsche Tochter des Schmieds war sie eine gute Partie, und dementsprechend umschwärmt. Aber bislang war immer sie es gewesen, die die Männer vor den Kopf gestoßen hatte, und nicht umgekehrt.
Bei Arri sah das ganz anders aus. Sie hatte sich so sehr auf Dragosz eingelassen, wie man das als Frau nur tun konnte. Und deswegen wusste sie auch, dass es den Männern tatsächlich um Macht ging, aber nicht nur. Sie hatte in Dragosz’ Herz geblickt, und darin Klugheit entdeckt, den Wunsch, sein Volk in eine bessere Zukunft zu führen … und Liebe.
Ganz ohne Zweifel Liebe.
Und wenn sie überhaupt noch irgendetwas durchhalten ließ, wenn sie ihr Schicksal überhaupt noch irgendwie ertrug, dann war es Dragosz’ Liebe, die ihr die Kraft gab, alles zu ertragen – solange sie noch die Chance hatte, ihren Sohn irgendwann einmal wieder in die Arme zu schließen.
»Beruhige dich, Isana«, sagte sie leise. »Selbst, wenn du recht hättest … Was soll ich denn tun? Ich selbst bin gefesselt und nicht mal mehr in der Lage, über mein eigenes Schicksal zu bestimmen. Und Dragosz ist nicht mehr da. Wer soll unser Kind denn schützen?«
Isana ließ die Faust wieder sinken und öffnete sie zur flachen Hand: Es war die Geste, mit der die Raker gewöhnlich einen Streit begannen. »Ich.«
»Du?« Arri hätte beinahe laut aufgelacht. »Wie willst du das anstellen?«
»Ich bin jetzt die Heilerin«, erinnerte sie Isana mit hörbarem Stolz in der Stimme. »Und auch eine Heilerin hat Macht. Ich werde Mittel und Wege finden, um Kyrill zu schützen.«
»Ja, du bist jetzt die Heilerin.« Arri schloss die Augen. Es fühlte sich merkwürdig an, dass ihr Isana nachgefolgt war – vor allem so schnell. Noch gar nicht lange war es her, da hatte es durchaus nicht festgestanden, wer Surkijas Nachfolgerin werden sollte: ihre Nichte Isana oder sie selbst, die neue Gefährtin an Dragosz’ Seite. Der Rat der Ältesten hatte es sich nicht leicht gemacht, und wenn noch jemand anderes infrage gekommen wäre als die beiden auf den ersten Blick so ungleichen jungen Frauen, dann hätte er sich gewiss nicht für Arri entschieden.
Schließlich hatte Abdurezak eine Zeremonie anberaumt, einen jungen Speerreiher töten lassen und aus seinen Eingeweiden den Willen der Ahnen gedeutet. Das Ergebnis hatte die Entscheidung gebracht, und kurz darauf war Arri zur Heilerin geweiht worden. Isana hatte das nach einer ersten kurzen Enttäuschung sogar begrüßt: Ihr war die Verantwortung als Heilerin dann doch noch zu groß erschienen.
Hoffentlich kommt sie jetzt damit zurecht, dachte Arri. Aber etwas anderes machte ihr viel mehr Sorgen: »Du willst Taru … doch wohl nichts antun?«, fragte sie.
»Wenn es sein muss.« Erneut blitzten Isanas Augen kampflustig auf. »Aber auch wirklich nur, wenn es sein muss. Mir fällt schon noch etwas Besseres ein!«
Die Vögel zwitscherten so laut, dass Zakaan am liebsten eine Schleuder zur Hand gehabt hätte, um die widerlichen Piepmätze einen nach dem anderen abzuschießen. Obwohl in dieser Jahreszeit kaum noch einer von ihnen brüten konnte, machten sie ein Gezeter, als ginge es darum, gierige Nesträuber zu vertreiben. Normalerweise störte den Schamanen so etwas nicht, aber jetzt reizte es ihn doch bis zur Weißglut.
Dies war allerdings beileibe nicht das Einzige, was ihn störte. Sondern die Schmerzen, die ihm das Laufen bereitete, der Grund für ihren überhasteten Aufbruch, und nicht zuletzt seine Gefährten – wenn man sie denn so nennen wollte.
Es war kein großer Trupp, der mit Ragok losgezogen war, eher ein Haufen Verlorener. Da die meisten kampferfahrenen Männer bei der Jagd gewesen waren, blieben ihm nur eine Handvoll Leute, die er auf seine unnachahmliche Art herumkommandieren konnte. Und es passte zu Ragok: statt auf die anderen zu warten, hatte er den sofortigen Aufbruch befohlen. Und dann war er auch noch vor lauter Ungeduld so schnell vorangestürmt, dass Zakaan irgendwann zurückgeblieben war und sie sich vollständig aus den Augen
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