Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
herangekommen wären, von Amars Kriegern ganz zu schweigen?«
Isana starrte sie verblüfft an. »So habe ich das noch gar nicht gesehen.«
»Aber ich«, sagte Arri. »Dragosz hat mir auch klargemacht, dass man sich sehr genau überlegen muss, wann man gegen wen kämpft. Blindwütige Gewalt hat noch nie weitergeholfen.«
»Aber du willst doch jetzt auch Gewalt anwenden!«, wandte Isana ein.
Arri nickte grimmig. »Wenn es sein muss, ja. Aber doch auf keinen Fall blindwütig. Und schon gar nicht habe ich vor, jemanden aus dem Dorf vorsätzlich zu verletzen.«
Isana blickte sie noch eine Weile stumm an, dann straffte sie sich. »Wenn du so viel vorhast, musst du auch bei Kräften sein. Du solltest also etwas essen!«
Arri schüttelte nun ganz entschieden den Kopf. »Nein. Ich muss nichts essen. Aber du musst etwas tun: mir so viel wie möglich von meinem Sohn erzählen.«
»Ja … nun …«
»Wie geht es ihm denn?«
Ein greller Blitz zerriss die Nacht und überschüttete sie sogar hier im Inneren der Hütte mit so viel Licht, dass für einen winzigen Augenblick alles taghell erleuchtet war. Isana und Arri zuckten beide zusammen, als sogleich ein fürchterlicher Donnerschlag folgte.
»Das wird aber heftig …«, begann Isana, doch Arri unterbrach sie ungeduldig: »Wie geht es Kyrill?«
»Das weißt du doch.« Isana wippte unruhig hin und her. »Du fragst mich immer das Gleiche, und ich antworte dir auch immer das Gleiche. Dass ihn die dicke Frau des Stangenfischers stillt, dass sich Abdurezak persönlich um sein Wohlergehen kümmert, dass er das ganze Pfahldorf zusammenbrüllt, wenn er nicht ganz schnell bekommt, was er haben will. Dass er lauter rülpsen kann als der dicke Woratz … Soll ich noch weitererzählen?«
»Nein«, sagte Arri kalt. »Zumindest nicht davon, dass ihn eine andere Frau stillt.«
Eben noch hatte die pure Kampfeslust sie ausgefüllt, und jetzt hatte es Isana mit einer eher beiläufigen Bemerkung geschafft, ihre ganze Energie wie mit einem Faustschlag in sich zusammenbrechen zu lassen. Es tat weh, all das, was geschehen war. Und es war so fürchterlich zu wissen, dass Kyrill die dicke Frau des Stangenfischers als Mutter betrachten würde, wenn sich nicht bald etwas änderte. Am schlimmsten aber schien ihr, dass ihre Milch bereits versiegt war. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie hätte ihren Sohn gar nicht mehr stillen können, selbst wenn man ihn ihr in diesem Augenblick an die Brust gelegt hätte.
Aber das musste sie Isana jetzt nicht auch noch erklären.
»Na gut, dann erzähl ich dir eben nichts mehr«, schmollte diese. Sie stieß mit dem großen Zeh gegen die Suppenschale, und erneut schwappte etwas von ihrem Inhalt über. »Isst du das wirklich nicht mehr?« Nachdem Arri den Kopf geschüttelt hatte, beugte sie sich vor und nahm die Schüssel in die Hand. »Ich habe heute Morgen nichts abbekommen. Eigentlich gestern Abend auch nicht, sieht man von ein paar mickrigen Beeren ab. Meinst du, ich könnte …?«
Wieder nickte Arri, und Isana zögerte nicht mehr länger: Sie setzte die Schale an den Mund, kippte sie erst ein wenig und begann sie dann laut schlürfend zu leeren, ganz so, wie es die Raker taten, wenn sie unter sich waren. Obwohl das im Augenblick vollkommen nebensächlich war, musste Arri unwillkürlich daran denken, was ihre Mutter gesagt hätte, hätte jemand in ihrer Gegenwart so unappetitlich Suppe geschlürft. Der Gebrauch von Löffeln war bei den Rakern gänzlich unbekannt, was aber nicht hieß, das sie sich nicht anders zu helfen wussten … einfach widerlich, dass hätte Lea dazu gesagt.
Dünne Brühe lief Isanas Mundwinkel herunter. Dies war etwas, das auch bei ihrem Volk nicht gern gesehen wurde: Schließlich war ihnen jede Art von Verschwendung zuwider. Dann setzte sie die Schale ab, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und rülpste laut – und Arri wurde einmal mehr bewusst, warum man ihr Volk die Barbaren aus dem Land der aufgehenden Sonne nannte.
»Das war gut«, sagte sie schließlich und schnalzte mit der Zunge. »Bin gespannt, wann ich wohl wieder so etwas Köstliches bekommen werde.«
»Ihr habt in den letzten Tagen wohl nicht viel gefangen, oder?«, fragte Arri lauernd. »Das bedeutet dann sicher, dass die Männer auf der Jagd sind, oder?«
»Auf der Jagd? Das hättest du wohl gern, was?« Isana wischte sich erneut mit dem Handrücken über die Lippen. »Denn je weniger Männer im Dorf sind, umso eher kannst du fliehen, nicht
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