Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
bemerkt hatte. »Wenn man zu viel Blutkraut ins Essen mischt, dann löst das die fürchterlichsten Blähungen aus, die man sich vorstellen kann. Vielleicht wäre das ja eine Idee: Die Männer rennen davon, weil sie ihre Notdurft verrichten müssen, und du kannst fliehen …«
Sie kam nicht mehr dazu zu erzählen, wie sie sich dies in der Praxis vorstellte, denn nun raschelte es erneut am Eingang, als ob das Schilf ein Stück zur Seite gezogen wurde. Neben ein wenig Licht fiel vor allem Regen in die Hütte. Sollte das etwa Taru sein?
Isana riss die Schale hoch, als wollte sie sie im nächsten Augenblick als Wurfgeschoss verwenden. Ihr Kopf fuhr zum Eingang zurück, und ihre angespannte Haltung verriet, dass sie gerade dasselbe dachte wie Arri.
Dass sie nun doch gekommen waren, um sie zu holen.
»Was ist?«, fragte Isana. »Wer ist da?«
Aus zusammengekniffenen Augen erkannte Arri, dass sie sich getäuscht hatte: Es war eine dürre, altersgebeugte Gestalt, die wie selbstvergessen im Regen stehen geblieben war, aber kein junger Mann, der auf sie zueilte und sie an den Haaren mit sich hinausziehen wollte.
Vor Erleichterung tat ihr Herz einen schmerzhaften Sprung. Sie hatte schon geglaubt, mit ihrem Leben abgeschlossen zu haben, aber so ganz stimmte das eben doch nicht. Sie wollte weder an einem Spinnenbiss sterben noch unter Wasser gedrückt werden.
»Abdurezak?«, fragte sie.
Ein tiefes Seufzen antwortete ihr, und dann trat die Gestalt vollends in die Hütte. »Was für ein Wetter«, schimpfte sie. »Es ist, als hätte der Himmel alle Schleusen geöffnet, um uns zu ersäufen.«
Nein, nicht Abdurezak, sondern Kaarg, der Schwätzer, dachte Arri ernüchtert. Was wollte bloß der alte Idiot bei diesem Wetter hier?
Kaarg blieb schon nach zwei Schritten wieder stehen, sodass Arri sein Gesicht kaum zu sehen bekam – aber es genügte auch so, um zu erkennen, dass es so nass war, als hätte man ihn gerade kopfüber in einen Brunnen getaucht.
»Isana!«, rief er empört. »Was lässt du mich alten Mann durch den Regen laufen und nach dir suchen? Weißt du denn nicht, dass man sich in meinem Alter den Tod dabei holen kann …« Er brach ab, trat einen Schritt näher, wobei er eine feuchte Spur hinter sich herzog, und starrte dann ärgerlich auf Isana hinab. »Wie ich sehe, machst du es den Hunden gleich und leckst das aus, was dir andere übrig lassen! Wenn das deine Mutter noch erlebt hätte… Schäm dich!«
»Äh … ja.« Rasch stellte Isana die Schale ab. »Ich wollte ja nur …«
»Auch wenn du eigentlich noch viel zu jung dafür bist: Du bist jetzt die Heilerin und trägst damit eine große Verantwortung für die Gemeinschaft«, schimpfte der Schwätzer. »Und zu deinen Aufgaben gehört es nicht, Schalen auszulecken – wie ein hungriges Kätzchen. Und schon gar nicht darfst du hinter meinem Rücken mit dieser falschen Schlange von Giftmischerin verkehren!«
Isana sprang rasch auf und nickte eifrig. »Natürlich nicht, das wollte ich ja auch gar nicht. Ich bin ja schon weg.«
»Ja, das will ich auch hoffen.« Kaarg hob den Ärmel seines Gewands und wischte sich damit übers Gesicht, wodurch es zwar nicht trockener wurde, doch immerhin verteilte er die Feuchtigkeit auf diese Weise gleichmäßig. »Kümmere dich um deine Kräuter und Heilverbände. Es könnte sein, dass du bald jede Menge zu tun bekommst.«
Arri schüttelte einen Tropfen weg, der ihr über die Stirn ins Auge rinnen wollte. »Jede Menge zu tun?«, fragte sie spöttisch. »Aber warum denn? Wollen euch die Krieger aus Goseg etwa ein paar Benimmregeln beibringen, weil ihr mich nicht angemessen behandelt?«
Der alte Mann blinzelte erst und schüttelte gleich darauf den Kopf. »Hüte deine Zunge, du vorlaute Drude. Und wenn uns irgendjemand etwas beibringt«, er griff nach dem Zipfel seines Gewandes und versuchte die Nässe herauszuquetschen, »dann bestimmt nicht Amars Krieger. Die sind nicht zum Kämpfen gekommen, sondern marschieren nur ein bisschen vor unserer Nase auf und ab, um uns zu zeigen, dass sie ihre Interessen notfalls auch mit Gewalt durchsetzen könnten.« Er winkte ab, als Arri an dieser Stelle etwas einwenden wollte. »Aber das hört ohnehin bald auf. Die Macht Gosegs ist auf die warme Jahreszeit beschränkt. Mit jeder Handbreit Schnee, der auf das Land fällt, nimmt ihr Einfluss ab. Wenn die Wege erst einmal unpassierbar sind, haben wir vor Amar und seinen Kriegern Ruhe.«
Das mochte ja zutreffen. Aber warum erzählte ihr Kaarg
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