Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
Kopfbewegung an. »Aber gestatte mir, dass ich mich erst einmal vorstelle. Ich bin der Hohepriester von Goseg, mein Name ist Amar.«
»Der Hohepriester von Goseg?«, fragte Arri überrascht. »Aber das kann nicht sein. Ich habe ihn ja schon kennengelernt. Er ist ein alter Mann …«
»Ein alter hässlicher Mann mit verschrobenen Ideen, sprich es ruhig aus«, unterbrach sie Amar ungerührt. »Nor ist tot. Und das schon seit zwei Sommern. Inzwischen hat sich in Goseg viel verändert.« Er schenkte Arri ein freundliches Lächeln. »Goseg war schon immer mächtig, selbst schon zu der Zeit, als die Menschen gerade begonnen hatten, die ersten Häuser zu bauen. Doch erst unter meiner Herrschaft ist es das bedeutendste Handelszentrum der ganzen Region geworden. Wir unterhalten Verbindungen zur ganzen Welt – zu den Stämmen in den Schneebergen, in die sich das ewige Eis zurückgezogen hat, und sogar zu den Völkern, die hinter den Bergen an einem großen Meer leben. Von dort beziehen wir Gewürze, Schmuck, Erze, Öle und vieles andere …«
»Ja«, antwortete Arri verwirrt. »Aber …«
Amar hob die Hand und winkte ab. »Kein Aber«, sagte er scharf. »Wir kontrollieren den Handel. Und damit kontrollieren wir praktisch alles zwischen dem Nordmeer und den Schneebergen.«
Arri nickte. Das mochte ja alles so stimmen, und wenn Dragosz noch lebte, wäre es jetzt auch an der Zeit gewesen, sich ein paar Gedanken zu dem zu machen, was ihr der Hohepriester hier eröffnete.
»Wir verlangen Tribut«, fuhr Amar unbekümmert fort, »und das von jedem, der in unserem Einflussgebiet siedelt.«
Taru gab ein leises ächzendes Geräusch von sich, doch als Amars Kopf in seine Richtung herumfuhr, war er nicht in der Lage, seinem Blick standzuhalten, geschweige denn, ihm eine halbwegs vernünftige Erwiderung entgegenzuschleudern.
Kindskopf, dachte Arri. So geht man nicht mit Männern um, die die alleinige Macht für sich beanspruchen.
Und das tat Amar ganz offensichtlich.
Ob er wirklich ein Hohepriester war oder nicht, das wagte Arri nicht zu beurteilen. Auf jeden Fall war er aber jemand, der trotz seiner freundlichen Art alles andere als zimperlich wirkte, wenn es um seine ureigensten Interessen ging.
»Dragosz hat sich am See der tausend Fische niedergelassen, ohne mich zu fragen«, sagte Amar leise. »Aber was ich dazu gesagt habe, wirst du als seine Frau wohl wissen …«
See der tausend Fische … das klang sehr schön. Alles andere aber nicht. Abgesehen davon begann Arri gerade zu begreifen, dass ihr Dragosz wohl die eine oder andere Kleinigkeit verschwiegen hatte.
Amar schien weiter auf eine Antwort zu warten. Als sie ihm die schuldig blieb, deutete er mit einer leichten Kopfbewegung in Tarus Richtung. »Stimmt denn das, was sie behaupten? Hast du Dragosz getötet?«
Arri hob die Hand ans Gesicht und wischte sich die Träne weg, die mittlerweile schon fast ihr Kinn erreicht hatte. »Nein«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich habe weder Dragosz noch irgendjemand anderen getötet …«
»Das stimmt überhaupt nicht!«, brüllte Rar unbeherrscht dazwischen. »Sie hat versucht, uns alle zu vergiften!«
»Verdammt!« Taru trat einen Halbschritt zurück und stieß Rar den Ellbogen in die Rippen. »Wirst du endlich still sein, du Hornochse?«
»Aber warum denn?«, jammerte Rar. Er rieb sich die Seite. »Es stimmt doch. Sie hat das Wasser …«
Taru drehte sich zu ihm um und versetzte ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. »Still jetzt, du Einfaltspinsel.«
Rar öffnete noch einmal den Mund, schnappte jetzt aber nur nach Luft. Er begann wohl langsam zu begreifen, dass sich das Verhältnis zwischen ihm und Taru grundlegend geändert hatte.
Aber dabei wird es nicht bleiben, schwor sich Arri. Kyrill ist Dragosz’ Nachfolger. Und Taru kann dann das tun, was er am besten versteht: zusammen mit Rar und ein paar anderen Idioten Unsinn anstellen.
Es war Lexz schwer gefallen, sich von dem kleinen See loszureißen und dem gewundenen Pfad am Bach zu folgen. Er hatte sich Arri so nahe gefühlt. Und jetzt hatte er das verrückte Gefühl, sich mit jedem Schritt, den er hier entlanghetzte, weiter von ihr zu entfernen.
Das war verwirrend. Er kannte dieses Mädchen doch gar nicht – das inzwischen längst zur Frau herangewachsen sein musste. Aber sie erschien ihm in diesem Augenblick wirklicher als die Menschen, die er im Lager seines Vaters zurückgelassen hatte. In den letzten Jahren hatte er so manchem Mädchen beigewohnt, und manchmal
Weitere Kostenlose Bücher