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Die Hintertreppe zum Quantensprung

Die Hintertreppe zum Quantensprung

Titel: Die Hintertreppe zum Quantensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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von Fermi. Sie hätte ihn auch kaum interessiert.

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Paul A. M. Dirac (1902–1984)
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Das Verlangen nach mathematischer Schönheit
    Paul Dirac muss eine schreckliche Kindheit gehabt haben, und dafür verantwortlich gemacht werden muss sein Vater Charles, der aus der Schweiz stammte und im britischen Bristol, Diracs Geburtsort, Französisch unterrichtete. Charles Dirac tyrannisierte seine Frau Florence, die Tochter eines Seemanns, und hatte die Angewohnheit, die Familie bei den Mahlzeiten zu trennen. Paul musste mit seinem Vater zusammen speisen, und durfte am Tisch nur dessen Muttersprache Französisch verwenden, was ihm arge Probleme bereitete. Jeder Fehler wurde gnadenlos mit den üblichen Peinigungen, die autoritäre Väter für Kinder bereithalten, bestraft. So braucht es niemanden zu wundern, dass Paul heftige Magenschmerzen bekam. Da sein Vater ihm aber nach einem unkorrekten Wort nicht erlaubte aufzustehen, musste er sich häufig am Tisch erbrechen und in diesem erbärmlichen Zustand sitzen bleiben.
    Die entwürdigende Prozedur dauerte jahrelang und wurde später auch seinem älteren Bruder Felix zuteil, der mit 25 Jahren Selbstmord beging. Paul dagegen zog sich in seine Innenwelt zurück und wurde schweigsam. Nicht nur zu Hause. Er hat auch später mit den Kollegen seiner Zunft kaum gesprochen und das, was er sagte, lange bedacht, bevor er es nach einigem Zögern äußerte. Seinem Vater hat er nur einen einzigen Satz zugedacht: »Ich schulde ihm absolut nichts«, und den hat er scharf und laut und deutlich gesprochen.
Eine neue Sprache
    Wenn es eben hieß, dass Paul Dirac Schwierigkeiten mit Sprachen hatte, dann ist damit vielleicht das Französische, aber auf keinen Fall die der Mathematik gemeint. Im Gegenteil. Einer seiner großen Beiträge zur Physik besteht darin, für die beiden Formen der neuen Quantenphysik, die in der Mitte der 1920er-Jahre entwickelt worden waren – die Matrizenmechanik von Werner Heisenberg und die Wellenmechanik von Erwin Schrödinger – eine eigenständige abstrakte Sprache gefunden zu haben, die es mit ihren Symbolen erlaubt, beide Theorien zusammen auszudrücken. Man spricht dabei von Diracs Transformationstheorie, weil sie sich in der Lage zeigt, die eine Version in die andere umzuwandeln und dabei elegant ihre Gleichwertigkeit (Äquivalenz) vorzuführen.
    Dass Dirac einmal ein begnadeter Theoretiker der Physik werden sollte, war nicht absehbar, als er 1921 mit seinen Studien in seiner Heimatstadt begann. Denn er schrieb sich zunächst für das Fach Elektrotechnik ein, etwas, worauf er sein Leben lang hingewiesen hat. Er denke wie ein Ingenieur, hat er ab und zu verlauten lassen. Diesen Satz kann man auch so deuten, dass er die mathematische Sprache als geeignetes Handwerkszeug der physikalischen Wissenschaft zur Verfügung stellen und geschmeidig einsetzen wollte.
    Nach zwei Jahren Beschäftigung mit der Elektrotechnik wechselte Dirac an die Universität von Cambridge, wo er sich der Mathematik zuwandte, die er dann – erneut zwei Jahre später – benötigte, um die damals neue Sprache der Physik zu erlernen. Diese wurde in der Drei-Männer-Arbeit vorgestellt, welche von Heisenberg, Born und Jordan aus Göttingen präsentiert worden war. Dirac schrieb 1925 seine Doktorarbeit zu der gerade entstehenden Mechanik der Quantensprünge, und er bemerkte, dass es von nun an sorgfältig zwischen zwei Dingen zu unterscheiden galt, nämlich zwischen Zahlen und Zuständen. Atome oder Moleküle befinden sich in Zuständen, die man mit komplexen Funktionen darstellen muss, aber im Experiment ermittelt man Zahlen (Messergebnisse), die auf die Zustände hinweisen bzw. sich aus den Funktionen berechnen lassen müssen. Dirac ahnte bzw. erkannte, wie man die Funktionen koppeln musste, um aus ihnen Zahlen zu gewinnen. Um seine Idee zu Papier zu bringen, fand er einen höchst eleganten Weg. Er nutzte das englische Wort für Klammer bracket und zerlegte es in die beiden Bestandteile bra und ket . Dabei unterschied er zwischen der »Bra-Form« und der »Ket-Form« eines Zustandes und zeigte, dass das Produkt aus beiden – die komplette Klammer – gerade und verlässlich die Messergebnisse hervorbrachte, die man dann mit der Theorie vergleichen konnte.
    Es ist schwierig, jemandem die Schönheit eines Gedichtes zu erläutern, wenn ihm die darin benutze Sprache unbekannt ist. Es ist ebenso schwierig, jemandem, der farbenblind ist, die Schönheit einer Farbkomposition zu erklären. Es bleibt

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