Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hintertreppe zum Quantensprung

Die Hintertreppe zum Quantensprung

Titel: Die Hintertreppe zum Quantensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
Vom Netzwerk:
einem großen Zusammenhang« zuwider sei. Für ihn ist es »im Leben wie in unserer Wissenschaft: Wir werden vor Schwierigkeiten gestellt, und wir müssen versuchen, sie zu lösen. Und wir können immer nur eine Schwierigkeit, nie mehrere auf einmal lösen; von Zusammenhang zu reden ist also nachträglicher gedanklicher Überbau.«
    Es ist kaum anzunehmen, dass Dirac so viel an einem Stück gesagt hat, und wir nehmen an, dass Heisenberg hier auf ein paar Seiten zusammengefasst hat, was er mit Dirac in vielen Gesprächen erörtert hat – die beiden haben 1929 gemeinsam eine Weltreise unternommen. Aber wir können sicher sein, dass Heisenberg fair wiedergibt, was Dirac meint, und dem sonstigen Schweiger wird auch gefallen haben, wie Wolfgang Pauli abschließend seine Ansichten kommentierte: »Unser Freund Dirac hat eine Religion; und der Leitsatz dieser Religion lautet: ›Es gibt keinen Gott, und Dirac ist sein Prophet‹.«
Eine Gegenwelt
    Wenn Dirac auch nichts von einer göttliche Gegenwelt im Himmel hielt, so musste bzw. durfte er bald erleben, wie die Mathematik ihm die Existenz einer anderen Gegenwelt zeigte: Sie lag unten in einer Tiefe, die sich im Experiment überraschend als real erwies, ohne dass damit etwas von dem sie umgebenden Geheimnis verloren ging. Es geht – wie immer bei Dirac – dabei weniger um das Philosophische und mehr um das konkret Physikalische.
    1928 versuchte er mit seiner mathematischen Sprache, die Ergebnisse der Quantenphysik und der Relativitätstheorie zusammenzufassen und gemeinsam auszudrücken, was bis dahin noch nicht gelungen war. Er näherte sich dem Problem wie ein Künstler, der verschiedene Elemente zu kombinieren versucht. In der Welt Diracs bedeutete das, dass er mit den Gleichungen Einsteins und denen der Quanten spielte, bis eine Struktur sichtbar wurde, die ihm gefi el, also mathematische Schönheit zeigte. Wir nennen sie heute Dirac-Gleichung.
    Diracs Gleichung von 1928 stellt das dar, was er selbst bescheiden die »relativistische Theorie des Elektrons« nennt und womit eine Quantentheorie gemeint ist, bei der das genannte Elementarteilchen hohe Geschwindigkeiten und entsprechende Energien annehmen kann. Wie immer, wenn es auf diese Weise relativistisch wird, taucht in der mathematischen Darstellung ein Quadrat auf. Das war zunächst nichts Ungewöhnliches und schon aus der klassischen Theorie Einsteins bekannt. Doch unter Beachtung der Quantensprünge bekam es nun eine neue und dramatische Bedeutung. Bekanntlich kann es, wenn ein Quadrat in einer Gleichung auftaucht, zwei Lösungen geben – neben der positiven eine negative, denn minus mal minus ist wieder plus. Die negativen und positiven Zahlen stellen dabei Energien dar, die Elektronen annehmen können. Im Rahmen des klassischen Denkens ignoriert man jedoch die Zustände mit negativer Energie einfach, weil es keinen Weg zu ihnen gibt. Genau das gilt mit den Quantensprüngen nicht mehr. Im Gefüge der Quantenwelt kann ein Elektron springen – zum Beispiel von Plus nach Minus –, und Dirac entschloss sich, die Lösungen seiner Gleichung mit negativer Energie als physikalisch real anzunehmen. Er sprach zuerst nur von einem Antielektron, schlug dann die umfassende Existenz von Antimaterie vor und hatte damit eine fantastische Gegenwelt entdeckt, deren experimenteller Nachweis nicht lange auf sich warten ließ. Bald ging die Rede von einer Dirac’schen Unterwelt oder von einem Dirac-See um, der im Normalfall unbemerkt bleibt, weil alle Zustände in ihm besetzt sind. Wird aber durch eine hohe Energie, wie sie etwa in Gammastrahlen präsent ist, ein Loch in den Dirac-See geschlagen, lässt sich dieses erkennen, und zwar im einfachsten Fall als Antiteilchen zum Elektron, das den Namen »Positron« erhalten hat.
    Mit anderen Worten, Dirac hat mit spielerischen Mitteln entdeckt, dass es Antimaterie gibt, und er hat dazu eine theoretische Sprache geliefert, die das Hervorholen und Zurückbringen von Teilchen aus der Unterwelt ganz selbstverständlich beschreiben konnte. Mit Diracs Gleichung – und dank seiner Schreibweise – verstehen wir das Elektron besser. Dirac sagt darin zum Beispiel die Existenz der vierten Quantenzahl (die Existenz des Spins) voraus, die man vorher erraten musste. Und außerdem wissen wir jetzt, dass es das Nichts nicht so gibt, wie man denkt. Denn das, was die Physiker Vakuum nennen und in dem kein Teilchen zu finden ist, besteht tatsächlich aus einem randvollen Dirac-See mit Zuständen

Weitere Kostenlose Bücher