Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
Überlegungen, was sich aus dem Umstand, dass Erika Konrad den Tatort gereinigt hat, für die Frage weiblicher Selbstdomestizierung im späten zwanzigsten Jahrhundert ablesen lässt, erscheinen mir äußerst windig.« Er fingerte noch einmal nach dem Blatt des Anstoßes. »Erika Konrad hat das Wohnzimmer, in dem sie ihren Mann geköpft bat, mit › Ajax ‹ gereinigt. Werden künftige Hausfrauen ihre Bäder mit › Medea ‹ schrubben?« Er pfefferte
die Zeitung wieder weg. »Das ist doch purer Schwachsinn, wie Sie in diesem ganzen Artikel die Antike bemühen.«
Kyra zupfte nachdenklich an ihrem Muttermal. »Ich hätte Konrads Putzanfall natürlich auch im Zusammenhang mit dem Menstruationstabu deuten können. Hätte Ihnen das mehr eingeleuchtet?«
»Frau Berg, Sie hatten einen reinen Informationsartikel über die Ermordung Robert Konrads zu schreiben. Und sonst gar nichts.«
Kyra klatschte beide Hände auf die Armlehnen ihres Designer-Stühlchens. »Mein Gott, sei doch nicht so grauenvoll borniert.« Diesmal war ihr Wössners Blick egal. »Ich denke, was wir hier machen, soll ein neuer Hauptstadt-Journalismus sein. Da kann man einen Artikel, in dem es um Mord und Totschlag geht, nicht mit › Vergangene Nacht wurde im Berliner Stadtteil Zehlendorf... ‹ anfangen.«
»Mit dergleichen Kinkerlitzchen gefährden Sie den Ruf unserer Zeitung.«
»Wenn wir überhaupt einen Ruf haben, dann den, ein wenig origineller zu sein als die anderen Schnarchblätter in dieser Stadt.«
»Originalität heißt nicht, die Prinzipien eines seriösen Journalismus über den Haufen zu werfen.«
»Hör mir auf mit seriös! Wenns nach dir ginge, würden wir hier doch alle wie im neunzehnten Jahrhundert schreiben.«
Wössner schnaubte. Kyra fauchte. Der Schlagabtausch ging weiter, bis beide nur noch dasaßen und sich restlos genervt anstarrten.
Der Doktor holte ein letztes Mal Luft. »In Zukunft geht kein Artikel von Ihnen in den Satz, den ich nicht vorher auf meinem Schreibtisch gesehen habe. Ist das klar?«
»Ja, bitte?«
Jenny Mayer blickte den fremden Mann im olivgrünen Sommermantel, der vor ihrer Tür stand, unfreundlich an. Die blonden Haare hatte sie locker hochgesteckt, sie trug verwaschene Jeans und ein T-Shirt der University of California at Los Angeles.
»Frau Mayer? Guten Tag, Kriminalhauptkommissar Priesske. Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
Sie wischte sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn. »Geht es um Robert Konrad?«
Der Kommissar nickte.
»Kommen Sie rein.«
Sie ging voraus in ein großes Wohnzimmer. Und ließ den Kommissar zunächst den Blick aufs Brandenburger Tor genießen, den man von allen Fenstern aus hatte.
»Grandios, nicht?«, kommentierte sie. »Allerdings ist die Aussicht auch das einzige, was an dieser Wohnung grandios ist. Letzten Herbst bin ich hier eingezogen, und anfangs war ich von dem Gedanken, in einer Edel-Platte in der Wilhelmstraße zu wohnen, völlig begeistert, aber inzwischen bereue ich es nur.« Sie blies eine blonde Strähne, die sich gelöst hatte, aus dem Gesicht. »Den ganzen Morgen bin ich schon damit beschäftigt, diese elenden Kacheln im Bad neu zu verkleben. Jeden Tag kommen zwei von den Dingern runter. Irgendwann werde ich noch beim Baden erschlagen. - Setzen Sie sich doch.« Sie deutete auf ein elegantes rotes Sofa.
Heinrich Priesske nahm Platz.
»Möchten Sie etwas trinken? Kaffee? Oder Tee?«
»Nein. Danke. Machen Sie sich keine Umstände.«
»Ich habe noch Kaffee warmgestellt.«
»Gut, dann nehme ich gern einen.«
Jenny Mayer ging zu der Einbauküche, die durch einen Tresen vom Wohnzimmer getrennt war.
»Milch und Zucker?«
»Nein, danke. Schwarz.«
Sie reichte dem Kommissar die Tasse und setzte sich selbst auf ein futuristisch flaches, lindgrünes Polstermöbel. Die nackten Füße zog sie seitlich an. Wie sie dort saß, erinnerte sie entfernt an die Kleine Meerjungfrau in Kopenhagen.
»Sie wollten mit mir über Robert Konrad reden? Gibt es da noch irgendwelche Unklarheiten? Ich dachte, es wäre erwiesen, dass seine Frau ihn ermordet hat.«
Heinrich Priesske trank einen Schluck und stellte die Tasse auf dem gläsernen Couchtisch ab.
»Ich würde gern etwas erfahren über das Verhältnis, in dem Sie zu dem Verstorbenen standen.«
Jenny Mayer dachte einen Augenblick nach. »Wahrscheinlich hat es keinen Sinn, lange um den heißen Brei herumzureden. Die anderen in der Zeitung haben Ihnen sicher bereits erzählt, dass Robert
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