Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
Zweifellos war sie im Griechenlager gelandet. Also fehlte ein Grieche. Aber welcher? Homer war da, die Dramatiker, Pindar und Hesiod. Alles, was das antike Herz begehrte. Kyra legte die Stirn in Falten. Sie fühlte sich wie beim Großen Preis.
Waren die Dramatiker alle da? - Aischylos, Sophokles, Euripides, Gesammelte Dramen, drei Bände, alles da.
Wie sah es bei Homer aus? Odyssee. Die Odyssee stand da. Aber - wo war die Ilias? Wo die Odyssee war, durfte die Ilias nicht weit sein. Kyra suchte das ganze Griechenlager ab. Von der Ilias keine Spur.
Nachdenklich stieg sie die Leiter hinunter und ging zu den Karteikästen. Was hatte das zu bedeuten? War es kindliche Freude, überhaupt auf etwas gestoßen zu sein, oder warum ließ die verschollene Ilias ihr Herz schneller klopfen?
Das Mädchen stand vor dem Spiegel. Seine Augen leuchteten - schön, so wunderschön. Mit den neuen Augen war sie der schönste Mensch auf Erden.
»Sag. Gefalle ich dir?«
Alex legte den Kopf schief und blinzelte. »Gib es zu « , lachte sie. »Du bist neidisch. Ich habe jetzt viel schönere Augen als du.«
Sie begann übermütig Pirouetten zu drehen.
»Alex ist neidisch, Alex ist neidisch.«
Außer Atem ließ sie sich aufs Bett fallen. Sie fegte die dunkelblau-graue Uniform in eine Ecke. Sie war so hässlich, diese Uniform. Stinkend, hässlich und zu groß. Und was am schlimmsten war: nicht weiß. Seitdem sie sich erinnern konnte, war es das erste Mal, dass sie gezwungen war, etwas Nicht-Weißes zu tragen. Und prompt hatte sie Pickel bekommen. Sie hatte es gewusst. Von allem außer weiß bekam sie Pickel. Aber oft würde sie diese schreckliche Uniform nicht mehr anziehen müssen.
Sie schaute in die beginnende Abenddämmerung hinaus und lächelte. Bald, bald hatte sie ihren Dienst erfüllt.
»Herr Kommissar? Herr Kommissar?« Die Stimme auf dem Anrufbeantworter klang nicht, als sei sie gewohnt, mit einer Maschine zu sprechen. Es gab eine zögerliche Pause, in der mehrfach ein- und ausgeatmet wurde. »Also, ich weiß nicht, ob das wichtig ist für Sie. Aber ich wollte Ihnen nur sagen, dass der Herr Homberg eine Tochter hatte, eine Tochter, aber seine Frau wusste nichts davon, also Sie verstehen schon, und diese Tochter war bei mir, und ich habe
sie - und sie hat mich so lange, bis ich sie eben - aber sie war vollkommen erschüttert von seinem Tod, und deshalb -« Wieder gab es eine Pause, in der die Frau mehrfach heftig schnaufte. »Ach ja, und links über dem Mund, da hatte sie so ein auffälliges Muttermal, fast wie ein Stern. Also, der Herr Homberg hatte das nicht, und die Frau Homberg auch nicht, also das muss sie von ihrer Mutter haben, aber ich weiß jetzt gar nicht, ob das für Sie wichtig ist. Auf jeden Fall wollte ich es Ihnen gesagt haben.«
Mirko Hönig kannte sich aus mit beschissenen Jobs. Zuletzt war er für die Sicherheit im Berliner Schienennahverkehr unterwegs gewesen. Jede Nacht hatte er sich auf zugigen Bahnsteigen um die Ohren schlagen dürfen, hatte Penner von Bänken gefegt und besoffene Randalierer aus der S-Bahn geworfen. Und in den ganzen sechs Monaten keine einzige Frau, die sich ihm hilfeschreiend an den Hals geworfen hätte. Keine einzige Vergewaltigung, bei der er im richtigen Moment hätte dazwischengehen können. Immer nur Scheiße. Und dann dieser bescheuerte Köter, der nix konnte außer Leine zerren und sabbern. Dagegen war der neue Job hier im Museum der reinste Sonntagsausflug. Rumhocken. Rundgang. Und wieder Rumhocken. Andere Leute zahlten Eintritt für so was.
N bisschen unheimlich war es schon, mit den ganzen toten Köppen, die einen so plötzlich ausm Dunkel raus anglotzten, aber hey, er war Mirko Hönig, und Mirko Hönig war kein Hosenscheißer. Er grinste. Wenigstens stanken die Penner hier nicht und pissten einem nicht vor die Füße.
Er rülpste. Nicht wegen der Rindswurst und dem Bier, die er vor seinem Dienst noch zu sich genommen hatte, sondern einfach nur so. Machte n gutes Gefühl, von Zeit zu Zeit zu rülpsen, wenn man nachts alleine war. Aber er war ja nicht allein. Grinsend fasste sich Mirko Hönig an die Hose. Mit nem vollen Flachmann in der Tasche war noch keiner an Einsamkeit
krepiert. »Hey, hey, hey - hier kommt der Wachmann mit dem Flachmann«, rappte er. Falco-mäßig. Mann, ey, war er froh, dass er diesen Job hier hatte. Er wusste, was ne gute Nacht wert war.
Pfeifend ging er in den nächsten Saal.
Aus Falco wurde ein richtiger Pfiff. Der Strahl seiner
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