Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin
Ausrufe von oben auf dem Hintertheile gehört und war ohne jede Ahnung der ihm drohenden Gefahr.
In diesem Augenblicke krachten zwei Flintenschüsse. Der Obersteuermann Heurtaux und Romain Allotte hatten in aller Eile ihre Gewehre von dem Rechen in der Cajüte geholt und auf das Thier abgefeuert.
Ob sie es gut getroffen hatten?… Niemand konnte das sagen. Jedenfalls tauchte es unter und sein Kopf kam nicht wieder über die Wellen herauf.
Mit so weit wie möglich umgelegtem Steuer begann das Fahrzeug anzuluven. Würde es bei so grobem Meere aber wirklich weit genug herumkommen? Wenn es nicht vollständig beidrehte, was unter diesen ungünstigen Verhältnissen zu befürchten war, so war das ganze Manöver nutzlos.
Einen Augenblick überwältigte alle die furchtbarste Angst. Einige Secunden schien der »Saint Enoch«, dessen flatternde Segel laut an die Takelage anklatschten, still zu stehen. Da fingen aber die Bramsegel Wind und das Schiff wendete durch diesen, doch unter so starker Seitenneigung, daß die Speigatten ins Wasser tauchten.
Als jetzt die Schoten straff angezogen wurden, hielt es sich scharf am Winde und glitt nach der Rettungsboje hin, an der der Matrose sich anklammerte. Nun konnte man ihm ein Tauende zuwerfen, das er mit kräftiger Faust ergriff, und daran wurde er gerade zur Höhe der Schanzkleidung emporgehißt, als der Hai, sich mit gähnendem Rachen auf den Rücken werfend, eben nach dem Beine des Mannes schnappen wollte.
Als Gastinet auf dem Deck niedergelegt worden war, verlor er das Bewußtsein. Jedenfalls war er aber gerettet, und dem Doctor Filhiol machte es auch wenig Mühe, ihn wieder zu beleben.
Inzwischen hatte der Harpunier Ducrest dem Ungeheuer einen Haken mit einem Stück Rindergerippe als Köder zugeworfen.
Vielleicht war der Hai aber entflohen, denn man sah ihn nicht mehr.
Plötzlich erfolgte ein heftiger Ruck, der die Leine mit fortgerissen hätte, wäre sie nicht fest um eine der Baken der Reling geschlungen gewesen.
Das Thier war gefangen. Der in den Schlund eingedrungene Haken ließ es nicht wieder los. Sechs Mann packten die starke Leine und zogen es aus dem Wasser heraus. Dann wurde eine Schlinge über seinen Schwanz weggezogen und mit Hilfe eines Flaschenzuges brachte man den »Advocaten des Meeres« vollends an Bord, wo ihm mehrere Beilhiebe bald den Garaus machten.
Die Matrosen sind gewöhnlich neugierig zu sehen, was der Magen eines solchen Ungeheuers wohl enthalte, eines Geschöpfes, dessen französischer Name Requin angeblich nichts anderes sein soll, als eine Veränderung des lateinischen Wortes Requiem.
Im Bauche des Haies, worin auch der arme Gastinet noch Platz gehabt hätte, wurden nun folgende, ins Meer geworfene oder hineingefallene Gegenstände vorgefunden: Eine leere Flasche, drei ebenfalls leere Conservedosen, mehrere Faden Schiemannsgarn, ein Stück Schwabber (Schiffsbesen), Knochenreste, eine Tafel Wachsleinwand, ein alter Schifferstiefel und eine Stange aus einem Hühnerkäfig.
Begreiflicherweise interessierte dieses Inventar vor allen den Doctor Filhiol.
»Das ist ja die reine Müllgrube des Meeres!« rief er.
Man hätte wirklich kaum eine treffendere Bezeichnung dafür finden können.
»Nun ist ja wohl weiter nichts zu thun, fügte der junge Arzt hinzu, als das Thier wieder ins Wasser zu werfen?
– O nein, lieber Filhiol, entgegnete Bourcart.
– Was wollen Sie denn mit dem Hai beginnen, Herr Kapitän?
– Ihn zerlegen und ausweiden, um alles Nutzbare davon zurückzubehalten. Eines davon berührt auch Ihr Fach, Doctor; man gewinnt aus diesen Haifischen ein niemals gerinnendes Oel, das alle arzneilichen Eigenschaften des besten Dorschleberthrans hat. Die Haut dient, wenn sie getrocknet und geglättet ist, den Bijouteriefabrikanten zur Erzeugung mannigfaltiger Phantasiegegenstände, die Buchbinder benutzen sie zu Buchdeckeln, die Tischler als eine Art Holzraspeln…
– Wollen Sie nicht auch gar sagen, Herr Kapitän, unterbrach ihn der Doctor Filhiol, daß man den Haifisch sogar essen kann?
– Gewiß, und seine Flossen sind auf den Märkten des Himmlischen Reiches so gesucht, daß man die Tonne davon gern mit siebenhundert Francs bezahlt. Da wir aber nicht genug Chinesen sind, uns daran zu erlaben, bereiten wir aus dem Fleische wenigstens einen Fischleim, der zum Klären des Weines, des Bieres und der Liköre sogar den aus dem Stör (die Hausenblase) übertrifft. Wen der etwas thranige Geschmack nicht anwidert, der soll auch ein
Weitere Kostenlose Bücher