Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin
hinuntergeleitet werden sollte. Denn wenn sich die Gelegenheit böte, einen Wal zu erlegen, ehe der »Saint Enoch« an der sibirischen Küste eintraf, wollte der Kapitän Bourcart sich diese nicht entgehen lassen.
»Zu wünschen wär’ es wahrlich, Herr Filhiol, sagte er eines Tages zu dem Arzte. Die Jahreszeit ist schon ziemlich vorgeschritten und über mehr als einige Wochen werden wir den Fang im Ochotskischen Meere nicht ausdehnen können. Bald genug dürften sich Eisschollen bilden, die die Schiffahrt doch gar zu sehr erschweren.
– Mich verwundert es immer, bemerkte der Doctor, daß die Walfänger bei der kurzen Zeit, die sie zur Verfügung haben, noch immer in der ursprünglichen alten Weise zu Werke gehen. Warum benützen sie keine Dampfschiffe und Dampfbarcassen und vor allem keine verbesserten Angriffswaffen und Fanggeräthe? Dadurch müßte doch ein weit höherer Ertrag erzielt werden.
– Sie haben ja recht, lieber Doctor, und glauben Sie, das wird schon in Zukunft noch kommen. Wir sind bis jetzt freilich bei unserem alten Schlendrian geblieben. Die zweite Hälfte des Jahrhunderts wird jedoch nicht verstreichen, ohne daß man sich dem Fortschritte, der sich ja in allen Dingen fast aufdrängt, auch hierin fügen wird.
– Das glaub’ ich auch, Kapitän; der Fang wird dann mit vervollkommneten Hilfsmitteln betrieben, wenigstens wenn man nicht bei dem Seltenerwerden der Walfische darauf zukommt, sie zu züchten und einzuhegen.
– Ein Walfischgehege! rief Bourcart.
– Nun, ich spreche jetzt im Scherz, gestand der Doctor Filhiol, und doch kannte ich einen, der diesen Gedanken im Ernst ausgesprochen hat.
– Wäre das möglich?
– Jawohl, die Wale in einer Bai einhegen, wie man die Kühe in einem Pferch unterbringt. Da hätte ihre Ernährung nichts gekostet und man hätte sogar ihre Milch mit Vortheil verkaufen können.
– Ihre Milch verkaufen, Doctor?
– Gewiß, denn die ist scheinbar ebenso gut wie die der Kuh.
– Wie sollten die Thiere aber gemolken werden?
– Ja, das wußte mein Bekannter freilich auch nicht, und deshalb hat er den ganzen wunderbaren Plan fallen lassen.
– Und daran sehr klug gethan, erklärte Bourcart herzlich auflachend. Doch, um auf den »Saint Enoch« zurückzukommen, ich habe Ihnen schon erklärt, daß er die Campagne im Norden des Stillen Oceans nicht lange wird fortsetzen können, und daß wir schon Anfang October zur Rückkehr genöthigt sein werden.
– Und wo soll der »Saint Enoch« überwintern, wenn er das Ochotskische Meer verlassen hat?
– Das weiß ich selbst noch nicht.
– Wie… das wissen Sie nicht?
– Nein, das wird von den Umständen abhängen, lieber Doctor. Einen Plan vorzeitig zu entwerfen, das führt oft zu ärgerlicher Enttäuschung.
– Haben Sie nicht auch schon in den Gewässern jenseits der Behringstraße gefischt?
– Jawohl, dort hab’ ich aber mehr Robben als Wale gefunden. Der Winter tritt im Arktischen Meere auch überaus zeitig ein, und schon in den ersten Wochen des Septembers wird die Schiffahrt dort durch Eis erschwert. Ich denke also dieses Jahr nicht über den sechzigsten Breitengrad hinauszugehen.
– Einverstanden, Kapitän; doch wird der »Saint Enoch«, wenn sich der Fang im Ochotskischen Meere ergiebig gestaltet hätte, dann nach Europa zurücksegeln?
– Nein, lieber Doctor; meiner Ansicht nach wird es vorzuziehen sein, den Thran in Vancouver zu verkaufen, da er dort jedenfalls noch sehr gut bezahlt wird.
– Und denken Sie ebenda den Winter zuzubringen?
– Wahrscheinlich, schon um zu Anfang der nächsten Saison den Fangplätzen näher zu sein.
– Man muß jedoch alles ins Auge fassen, fuhr der Doctor Filhiol fort. Gedächten Sie, wenn der »Saint Enoch« im Ochotskischen Meere nicht vom Glück begünstigt würde, die Rückkehr der schönen Jahreszeit gleich dort abzuwarten?
– Nein, das nicht… obwohl man in Nikolajewsk und in Ochotsk recht gut überwintern kann. In diesem Falle würde ich mich lieber entschließen, wieder nach der Küste Amerikas oder selbst nach Neuseeland zu gehen.
– Wir können also, Kapitän, auf keinen Fall darauf rechnen, noch dieses Jahr nach Europa zurückzukommen?
– Nein, lieber Doctor; das braucht Sie auch nicht zu wundern. Es ist selten, daß unsere Reisen nicht vierzig bis fünfzig Monate dauerten. Die Mannschaft weiß schon, woran sie in dieser Beziehung ist.
– O, und Sie können glauben, Kapitän, daß auch mir die Zeit nicht lang werden wird. Wie weit sich
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