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Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin

Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin

Titel: Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Enoch« unter diesen Verhältnissen nicht in seinem Curse halten, er mußte vielmehr vor dem Sturme, und zwar einen vollen Tag, vor Topp und Takel fliehen. Doch auch das ist sehr gefährlich, denn einem Schiffe droht dabei, »vom Meere verzehrt« zu werden. Wenn es nämlich vor dem Winde schnell dahinläuft, hat sein Steuerruder keine Wirkung mehr, und es ist sehr schwierig zu verhindern, daß es bald über Steuerbord und bald über Backbord geworfen wird. Dann ist auch das herausstürzende Wasser am meisten zu fürchten, weil es das Schiff nicht an dem zu besserem Widerstande geeigneten Bug, sondern vom Heck her angreift, das gegen den Ansturm der Wogen weniger gerüstet ist.
    Wiederholt fegten große Wassermengen gurgelnd und schäumend über das Deck des »Saint Enoch« hinweg. Die Mannschaft hielt sich schon bereit, die Schanzkleidung einzuschlagen, um deren Ablaufen zu erleichtern. Zum Glück genügten dazu die Speigatten, und die Lukendeckel, die sorgsam befestigt waren, wichen nicht von ihrer Stelle. Die am Steuerruder unter der Leitung des Meisters Ollive stehenden Leute, konnten auch die Richtung nach Westen einigermaßen einhalten.
    Der »Saint Enoch« kam auch diesmal ohne ernsthaftere Havarien davon. Der Kapitän Bourcart hatte nur den Verlust einer Bugsprietstenge zu beklagen, die man am Hintertheile anzubringen versucht hatte und an der bald nur noch formlose Fetzen hingen, die bei dem Wüthen des Sturmes wie mit Peitschengeknall an das Holz schlugen. Nach diesem vergeblichen Versuche, gegen den Wind aufzukommen, hatte sich der Kapitän erst entschlossen, vor diesem zu fliehen.
    In der Nacht vom 10. zum 11. August nahm der Sturm allmählich ab. Fast mit dem Tagesanbruche konnte der Meister Ollive schon einige Segel setzen lassen.
     

    Das Ungeheuer blieb unbeweglich. (S. 103.)
     
    Zu befürchten war nur noch, daß der Wind nach Westen umspringen könnte, wo der »Saint Enoch« jetzt beinahe noch achthundert Seemeilen vom asiatischen Lande entfernt war. Dann hätte das Schiff gegen den Wind anlaufen müssen und seine Fahrt wäre beträchtlich verlangsamt worden. Beim Lavieren lag überdies die Gefahr nahe, in die schnelle Strömung der Kuro-Sivatrift zu gerathen und nach Nordosten verschlagen zu werden, was dann vielleicht die Campagne im Ochotskischen Meere überhaupt in Frage stellte.
    Das machte dem Kapitän die meiste Sorge. Konnte er sich auf die Festigkeit seines Schiffes und auch auf die Tüchtigkeit seiner Officiere verlassen, so erfüllte ihn doch die Besorgniß, diesen Umschlag des Windes eintreten zu sehen, was sein Eintreffen an den Kurilen stark verzögert hätte.
    »Sollte uns das Glück wirklich den Rücken kehren und die Prophezeihungen des Unglücksvogels Cabidoulin zur Wahrheit werden lassen? wiederholte er mehrmals.
    – O, der weiß ja gar nicht, was er schwätzt, erwiderte der Oberbootsmann Ollive, und er würde besser thun, seine Zunge zu verschlucken! Das strömt ihm aber aus dem Munde wie der Strahl eines Walfisches aus den Spritzlöchern! Er wirft nur immer alles blutig gefärbt aus, der Unglücksrabe!«
    Der wackere Oberbootsmann fühlte sich im höchsten Grade befriedigt durch diese von ihm gegebene Antwort.
    Eine Verzögerung, und wenn sie nur vierzehn Tage betrug, war von großer Bedeutung. Schon Anfang September entstehen im Ochotskischen Meere die ersten Eisschollen, und gewöhnlich halten sich die Walfische in diesem nur bis zum Eintritt des Winters auf.
    Als der Sturm vorüber war, vergaßen doch alle schnell, daß der »Saint Enoch« ein-oder zweimal dem Untergange nahe gewesen war, und der Spötteleien über Jean-Marie Cabidoulin wurden immer mehr und mehr.
    »Siehst Du, Alterchen, redete Meister Ollive ihn an, das bist Du gewesen, der uns dieses Hundewetter über den Hals gebracht hat, und wenn aus unserer Campagne nichts würde, trägst Du allein die Schuld daran!
    – Oh, erwiderte der Tonnenbinder, es hätte ja niemand zu kommen brauchen, mich aus meiner Werkstatt in der Rue des Tourettes herauszulootsen und an Bord des »Saint Enoch« zu schaffen…
    – Jawohl, Cabidoulin, hast am Ende recht; doch wenn ich der Kapitän Bourcart wäre, wüßt’ ich ganz genau, was ich thäte…
    – Und was thätest Du denn?
    – Nun, ich bände Dir eine Kugel an jeden Fuß und ließe Dich über Bord werfen…
    – Vielleicht könnte mir gar nichts besseres widerfahren! antwortete Jean-Marie Cabidoulin mit ernster, tonloser Stimme.
    – Der Teufel zöge ihn doch wieder heraus!

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