Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin
Balänoptere, deren Kopf nach der Seeseite gewendet war, ahnte offenbar noch keine Gefahr. Als das Thier sich dann wendete, kam es so nahe an dem Boote vorüber, daß Durut es mit zwei Harpunen unterhalb den Brustflossen verwunden konnte.
Der Wal machte darauf aber kaum eine Bewegung, so, als hätte er die Stiche nicht gefühlt. Das war ein Glück zu nennen, denn eben befand er sich fast mitten unter dem Boote, und ein einziger Schlag mit dem Schwanze hätte hingereicht, dieses zu zertrümmern.
Dagegen tauchte er plötzlich unter, und zwar so schnell und in eine solche Tiefe, daß der Lieutenant die Leine nicht mehr führen konnte und kaum die Zeit gewann, deren Ende mit einer Boje zu versehen.
Beim Wiederauftauchen des Thieres befand sich Heurtaux mehr in dessen Nähe. Kardek schleuderte jetzt ebenfalls seine Harpune hinaus, und diesmal wurde es nicht nöthig, erst viel Leine ablaufen zu lassen.
Die beiden anderen Boote eilten herbei. Nun wurden die Lanzen zu Hilfe genommen. Mit den Beilen trennte man eine Flosse des Seesäugethiers ab, das jetzt einen blutigen Strahl ausblies und bald ohne besondere Zuckungen verendete.
Nun handelte es sich darum, die Beute nach dem »Saint Enoch« zu schleppen. Bis zu diesem war es aber ziemlich weit, etwa fünf Meilen; das Bugsieren mußte also viel Mühe machen.
Da wandte sich Heurtaux an den ersten Lieutenant.
»Coquebert, sagte er, machen Sie sich sofort auf und benützen Sie die Brise, nach dem Ankerplatze bei Yamsk zu kommen. Der Kapitän Bourcart wird sich dann beeilen, abzufahren, und er wird uns begegnen, wenn er einen Curs nach Nordosten einhält.
– Ganz richtig, antwortete der Lieutenant.
– Ich meine, Sie können den »Saint Enoch« vor dem Dunkelwerden noch erreichen, fuhr Heurtaux fort. Muß unser Schiff aber bis zum Tagesanbruch liegen bleiben, so erwarten wir es auf jeden Fall. Mit einer solchen Masse im Schlepptau kämen wir in der Stunde doch kaum eine Meile vorwärts.«
Eine bessere Anordnung konnte nicht getroffen werden. Das Boot setzte also seine Segel bei, die Riemen wurden noch daneben ausgelegt, und sofort schlug es den Weg nach der Küste ein.
Die beiden anderen Boote trieben, von einer schwachen Strömung unterstützt, langsam in derselben Richtung hin.
Unter den vorliegenden Verhältnissen war es ausgeschlossen, die Nacht an der gegen mehr als vier Meilen entfernten Küste zuzubringen. Erlitt der Lieutenant Coquebert übrigens keine Verzögerung, so konnte der »Saint Enoch« noch vor Anbruch des Abends eingetroffen sein.
Da fing der Nebel gegen fünf Uhr leider wieder an sich zu verdichten, der Wind flaute gänzlich ab und der Gesichtskreis wurde etwa auf hundert Toisen eingeengt.
»Dieser Nebel wird dem Kapitän Bourcart freilich hinderlich sein, sagte Heurtaux.
– Vorausgesetzt, daß das Boot überhaupt den Ankerplatz gefunden hat, bemerkte dazu der Harpunier Kardek.
– Ja, wir können nichts anderes thun, als hier bei dem Walfisch ausharren, setzte der Lieutenant Allotte hinzu.
– Das ist auch meine Ansicht,« erklärte Heurtaux.
Darauf wurde der Proviant, Pökelfleisch und Zwieback, Trinkwasser und Tafia, hervorgeholt. Die Leute aßen und streckten sich dann aus, um bis zum Tagesanbruch zu schlafen.
Diese Nacht verlief aber nicht vollkommen ruhig. Gegen ein Uhr morgens wurden die Boote plötzlich so arg umhergeworfen, daß ihre an dem Wale befestigten Leinen zu reißen drohten und deshalb verdoppelt werden mußten.
Woher die auffällige Bewegung des Meeres käme, wußte freilich niemand zu erklären. Heurtaux kam auf den Gedanken, es möchte ein großer Dampfer sehr nahe bei ihnen vorüberfahren, was die Besorgniß erweckte, bei der undurchsichtigen Luft vielleicht gar überfahren zu werden.
Sofort gab einer der Matrosen einige Hornsignale, worauf jedoch keine Antwort erfolgte. Man hörte auch nicht das Wirbeln eines Propellers und das Abströmen des Dampfes, die doch jedes in Bewegung befindliche Dampfschiff begleiten, und ebensowenig waren die Signallichter eines solchen zu sehen.
Die heftige Wasserbewegung hielt vierzig Minuten lang an und wurde zuweilen so stark, daß Heurtaux schon daran dachte, die erbeutete Balänoptere aufzugeben.
Allmählich glättete sich jedoch das Wasser wieder und die Nacht endete ohne weitere Störung.
Was die Ursache der auffälligen Erscheinung gewesen wäre, davon hatte weder Heurtaux noch der Lieutenant Allotte eine Vorstellung. Ein Dampfer?… In diesem Falle hätte die Bewegung des
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