Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin
weniger als dreizehnhundertfünfzig Kilometern.
Zu Rußland gehört die Provinz seit dem Jahre 1808. Anfänglich dem Gouvernement Irkutsk zugeschlagen, bildet sie jetzt eine der acht großen Abtheilungen, in die Sibirien in administrativer Hinsicht zerlegt ist.
Kamtschatka hat verhältnißmäßig eine schwache Bevölkerung, kaum eine Seele auf ein Quadratkilometer, und offenbar nimmt die Bevölkerung auch nicht weiter zu. Der Erdboden erscheint für die Cultur recht ungeeignet, obgleich die Mitteltemperatur hier nicht niedriger ist, als in manchen anderen, blühenderen Theilen Sibiriens. Die Erde ist aber mit Lavastücken übersät, mit porösen Steinen und mit Asche, die alle von vulcanischen Ausbrüchen herrühren. Von Norden nach Süden und mehr in der Nähe des östlichen Ufers durchzieht das Land eine große, vielfach zerrissene Bergkette mit einzelnen, ziemlich hohen Gipfeln. Die Bergkette endet eigentlich nicht an dem an der Südspitze gelegenen Cap Lopatka, denn die Gruppe der Kurilen ist bis nach Japan hin als ihre natürliche Fortsetzung anzusehen.
Im Hafen von Petropawlowsk ging der »Saint Enoch« vor Anker. (S. 120.)
Von der Landenge aus, die Kamtschatka mit der Hauptmasse Asiens verbindet, fehlt es an der Ostküste nicht an Häfen; da liegen: Karajinsk, Chalwesk, Swaschink, Chaljulinsk und Osernowsk, außer dem unzweifelhaft bedeutendsten, dem Hafen von Petropawlowsk, der etwa zweihundertfünfzig Kilometer vom Cap Lopatka entfernt ist.
Hier ging der »Saint Enoch« am 4. October Nachmittag fünf Uhr vor Anker. Er legte sich so nahe an das Land, wie es sein Tiefgang gestattete, und zwar in der Bai Avatcha, die geräumig genug ist, alle Flotten der Erde aufzunehmen.
Auch der »Repton« war hier bereits eingetroffen.
Hatte der Doctor Filhiol jemals davon geträumt, die Hauptstadt von Kamtschatka zu besuchen, so konnte er das jetzt unter den günstigsten Bedingungen wahr machen. Bei dem hiesigen, heilsamen Klima mit sehr reiner, feuchter Luft ist der Himmel freilich selten völlig klar. Als das Schiff aber heute in die Bai Avatcha einlief, konnte man das lange Profil des prächtigen Bergpanoramas zufällig recht gut überblicken.
Die Kette enthält zahlreiche Vulcane, wie den Schiwelusch, den Schiwelz, den Kronosker, den Kortazker, den Asatchinska und endlich, hinter der so malerisch eingerahmten Ortschaft, den schneebedeckten Korialski, dessen Krater mit Flammen vermischte Rauchwolken ausstieß.
Die Stadt selbst, die damals sozusagen noch in den Kinderjahren war, bestand nur aus einer Anhäufung von hölzernen Häusern am Fuße der Berge. Man hätte glauben können, ein Kinderspielzeug vor sich zu sehen, dessen Häuschen ohne jede Ordnung aufgestellt wären. Von den bescheidenen Bauten war der merkwürdigste eine kleine, dem griechischen Cultus geweihte Kirche mit zinnoberrothen Wänden und grünem Dache, deren Glockenthurm fünfzig Schritt weit von ihr aufragte.
Zwei Seeleute, der eine ein Däne, der andere ein Franzose, sind in Petropawlowsk durch Denkmäler verewigt, nämlich Behring und der Commandant Lapérouse, dem ersten hat man hier eine Säule, dem zweiten ein achteckiges, mit Eisenplatten belegtes Bauwerk errichtet.
Dem Ackerbau dienende Gehöfte von einiger Ausdehnung hätte der Doctor Filhiol in dieser Provinz nicht finden können. Dank der stets feuchten Luft, ist der Boden dagegen reich an Weiden und Wiesen, die dreimal im Jahre abgemäht werden können. Getreide giebt es nur wenig, und Gemüsearten gedeihen auch nur mittelmäßig, mit Ausnahme des Blumenkohls, der sich zu ungeheurer Größe entwickelt. Man findet sonst nur Gersten-und Haferfelder, die vielleicht etwas mehr Ertrag liefern, als in anderen Theilen des nördlichen Sibiriens, weil das Klima hier zwischen den beiden, die Halbinsel umspülenden Meeren weniger rauh ist.
Bourcart wollte sich in Petropawlowsk nicht längere Zeit aufhalten, als er zur Beschaffung seines Bedarfes an frischem Fleische brauchte. Die Frage, wo der »Saint Enoch« überwintern sollte, war thatsächlich noch nicht entschieden.
Darüber sprach der Kapitän einmal mit dem Obersteuermanne, da es doch nothwendig wurde, einen endgiltigen Beschluß zu fassen.
Bourcart äußerte sich dabei in folgender Weise:
»Ich glaube auf keinen Fall, daß wir den Winter im Hafen von Petropawlowsk zubringen sollten, obgleich ein Schiff hier vom Eise nichts zu fürchten hat, da die Bai Avatcha selbst bei strengster Kälte stets offen bleibt.
– Doch
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