Die historischen Romane
sein Genie erst später in einem einzigen Plan vereinigen sollte. Aber greifen wir nicht vor.
Der erste schien ein armer Irrer zu sein. Der Wirt sagte, er gebe ihm aus Mitleid zu essen und ein Dach überm Kopf, obwohl er in Wahrheit durchaus imstande war, viele nützliche Arbeiten zu verrichten. Alle nannten ihn Bronte, und tatsächlich schien es, als sei er dem Massaker von Bronte entronnen. Ständig verfolgten ihn die Erinnerungen an den Aufstand, und nach ein paar Gläsern Wein schlug er mit der Faust auf den Tisch und schrie: »Capelli guaddativi, l’ura du giudizziu s’avvicina, populu non mancari all’appellu« , was soviel hieß wie »Herren, hütet euch, die Stunde der Gerechtigkeit naht, Volk, fehle nicht beim Appell!« Das war der Satz, den sein Freund Nunzio Ciraldo Fraiunco vor dem Aufstand gerufen hatte, einer der vier, die dann von Bixio füsiliert worden waren.
Sein intellektuelles Leben war nicht eben rege, aber zumindest eine Idee hatte er, und es war eine fixe Idee: Er wollte Nino Bixio töten.
Für Simonini war Bronte bloß ein bizarrer Typ, der ihm half, ein paar langweilige Winterabende zu verbringen. Interessanter war ihm sofort ein anderer erschienen, ein struppiger und zunächst störrischer Mensch, der jedoch, als er gehört hatte, wie Simonini den Wirt nach den Rezepten der diversen Gerichte fragte, das Wort ergriffen und sich als ein nicht minder großer Liebhaber guter Küche zu erkennen gegeben hatte. Simonini erklärte ihm, wie man agnolotti alla piemontese macht, und er revanchierte sich mit allen Geheimnissen der Kapaunzubereitung, Simonini schilderte ihm die cruda all’albese , bis er sie am liebsten mit einem Happen verschlungen hätte, und er verbreitete sich über die Alchimie des Marzipans.
Dieser Meister Ninuzzo, wie er sich nannte, sprach ein annähernd reines Italienisch und ließ durchblicken, dass er auch in fremden Ländern gereist sei. Bis er, der sich als frommer Verehrer der verschiedenen Jungfrauen in den örtlichen Kirchen und als respektvoll gegenüber der kirchlichen Würde Simoninis erwies, diesem seine eigenartige Position anvertraute: Er war Feuerwerker des bourbonischen Heeres gewesen, aber nicht als Militär, sondern als Handwerker und Experte für die Bewachung und Verwaltung eines Pulvermagazins in der Nähe. Die Garibaldiner hatten die bourbonischen Militärs verjagt und das Pulvermagazin samt Munition beschlagnahmt, doch um nicht die ganze Kasematte aufzulassen, hatten sie Ninuzzo als Wächter des Ortes im Dienst behalten, besoldet von der Militärverwaltung. Und nun saß er gelangweilt da und wartete auf Befehle, voller Groll auf die Besatzer aus dem Norden, voller Wehmut seinem König nachtrauernd und voller Phantasien über Revolten und Aufstände.
»Ich könnte noch halb Palermo in die Luft sprengen, wenn ich wollte«, raunte er Simonini zu, nachdem er begriffen hatte, dass auch der nicht auf seiten der Piemontesen stand. Und angesichts seiner verblüfften Miene erzählte er ihm, dass die Usurpatoren nicht bemerkt hätten, dass unter dem Pulvermagazin eine Höhle sei, in der noch Pulverfässer, Granaten und anderes Kriegshandwerkzeug lagere. Gut aufgehoben für den nicht mehr fernen Tag des Aufstands, denn schon organisierten sich Widerstandsgruppen in den Bergen, um den piemontesischen Invasoren das Leben schwer zu machen.
Je länger er von Sprengstoffen sprach, desto mehr hellte sich seine Miene auf, und sein stumpfes Profil und die trüben Augen wurden fast schön. Bis er eines Tages Simonini zu seiner Kasematte mitnahm und ihm, nach kurzer Erkundung der Höhle wieder aufgetaucht, auf der flachen Hand ein paar kleine schwärzliche Körner zeigte.
»Ach, hochwürdiger Pater«, sagte er, »es gibt nichts Schöneres als Pulver von guter Qualität. Sehen Sie die Farbe, schiefergrau, die Körner zerbröseln nicht zwischen den Fingern. Wenn Sie ein Blatt Papier hätten, würde ich sie darauflegen, anzünden, und sie würden verbrennen, ohne das Papier zu berühren. Früher mischte man es aus fünfundsiebzig Teilen Salpeter, zwölfeinhalb Teilen Holzkohle und zwölfeinhalb Teilen Schwefel, dann sind sie zu der sogenannten englischen Dosierung übergegangen, mit fünfzehn Teilen Holzkohle und zehn Teilen Schwefel, und so kommt es dann, dass du Kriege verlierst, weil deine Granaten nicht explodieren. Heute nehmen wir vom Metier – aber leider oder Gott sei Dank sind wir nur wenige – statt des Salpeters das Nitrat aus Chile, was etwas
Weitere Kostenlose Bücher