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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Raubtiere sind und vom Fleisch der anderen leben, Völker von Händlern und Schacherern wie einst die Phönizier und Karthager und heute die Engländer und die Juden.«
    »Dann sind Engländer und Juden für Sie dasselbe?«
    »Fast dasselbe. Lesen Sie mal, was ein bedeutender englischer Politiker in seinem Roman Coningsby geschrieben hat – ich spreche von Benjamin Disraeli, einem sephardischen Juden, der zum Christentum übergetreten ist. Er hat die Stirn gehabt zu erklären, dass die Juden sich anschicken, die Welt zu beherrschen. Natürlich sagt er das nicht in seinen Parlamentsreden, aber er schreibt es in seinem Roman.«
    Tags darauf zeigte er mir diesen Roman, in dem er ganze Abschnitte unterstrichen hatte: »Nie sehen Sie in Europa eine bedeutende intellektuelle Bewegung auftreten«, las er vor, »an der die Juden nicht kräftigen Anteil haben. Die ersten Jesuiten waren Juden! Diese geheimnisumwitterte russische Diplomatie, die Westeuropa so alarmiert, wer organisiert und dirigiert sie? Die Juden! Und wer hat sich in Deutschland quasi das Monopol auf alle Professorenlehrstühle gesichert?«
    Er klappte das Buch zu und sah mich bedeutungsvoll an. »Und bedenken Sie, Disraeli ist kein gekaufter Spitzel, der sein eigenes Volk denunziert. Im Gegenteil, er will dessen Vorzüge rühmen. Er schreibt ohne Scham, dass der russische Finanzminister Graf Kankrin der Sohn eines litauischen Juden ist, so wie der spanische Minister Mendizábal der Sohn eines Konvertiten aus der Provinz Aragon. In Paris war ein Marschall des Kaisers, Napoleons Marschall Soult, der Sohn eines französischen Juden, und Jude war auch sein Marschall Masséna, der auf hebräisch Manasse hieß… Und übrigens, diese Revolution, die sich gerade in Deutschland abzeichnet, unter wessen Führung entwickelt sie sich? Unter der von Juden, siehe diesen Karl Marx und seine Kommunisten.«
    Ich war mir nicht sicher, ob Toussenel recht hatte, aber seine Philippika zeigte mir, was man in den revolutionärsten Pariser Kreisen dachte, und brachte mich auf ein paar Ideen… Es war fraglich, an wen sich Dokumente gegen die Jesuiten verkaufen ließen. Vielleicht an die Freimaurer, aber mit deren Welt hatte ich noch keine Kontakte. Dokumente gegen die Freimaurer könnten für die Jesuiten interessant sein, aber ich fühlte mich noch nicht in der Lage, sie zu produzieren. Dokumente gegen Napoleon? Sicher nicht, um sie an die Regierung zu verkaufen, und was die Republikaner anging, die zweifellos potentiell einen guten Markt darstellten, so blieb nach Sue und Joly nicht mehr viel zu sagen. Dokumente gegen die Republikaner? Auch hier sah es eher so aus, als ob die Regierung schon alles hatte, was sie brauchte, und wenn ich Lagrange mit Informationen über die Fourieristen käme, würde er wohl nur lachen, denn wer weiß wie viele seiner Informanten bereits die Buchhandlung in der Rue de Beaune frequentierten.
    Was also blieb? Die Juden, heiliger Himmel. Im Grunde hatte ich immer gedacht, sie würden nur meinen Großvater so obsessiv verfolgen, aber nachdem ich Toussenel gehört hatte, machte ich mir bewusst, dass es einen antijüdischen Markt nicht nur unter allen möglichen Enkeln des Abbé Barruel gab (die nicht wenige waren), sondern auch unter den Revolutionären, den Republikanern, den Sozialisten. Die Juden waren Feinde des Altars, aber auch des einfachen Volkes, dem sie das Blut aussaugten, und je nach Regierung auch Feinde des Thrones. Ich musste über die Juden arbeiten.
    Dass es keine leichte Aufgabe sein würde, war mir klar. Die Aufmerksamkeit eines klerikalen Milieus ließe sich vielleicht noch durch eine Wiederaufbereitung des Materials von Barruel gewinnen, mit den Juden als Komplizen der Freimaurer und der Templer beim Anzetteln der Französischen Revolution, aber einen Sozialisten wie Toussenel würde das nicht interessieren, man müsste ihm etwas Genaueres über die Beziehung zwischen den Juden, der Akkumulation des Kapitals und den britischen Weltherrschaftsplänen erzählen.
    Zum ersten Mal bedauerte ich, dass ich nie im Leben einem Juden hatte begegnen wollen. Ich entdeckte, dass ich große Wissenslücken über das Objekt meiner Abneigung hatte – die sich immer mehr mit Ressentiment auflud.
    Solche Gedanken quälten und plagten mich, als ausgerechnet Lagrange mir einen Ausweg bot. Ich sagte schon, dass er mich zu unseren Besprechungen immer an die ausgefallensten Orte bestellte, und diesmal war es der Friedhof Père Lachaise. Im Grunde hatte er

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