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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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bringen, etwas zu unternehmen, brauchte man ihm bloß anzudeuten, dass es Baudolino schaden würde. Es genügte also, ihn wissen zu lassen, dass es einen Tunnel gab und dass Baudolino nicht wollte, dass er entdeckt würde. Wie? Ganz einfach, schließlich hatte Ditpold ja Spitzel auf Baudolino angesetzt.
    Nach Einbruch der Dunkelheit, als Baudolino zum Lager zurückkehrte, überquerte er erst eine kleine Lichtung und ging dann in den Wald hinein, aber kaum zwischen den Bäumen angelangt, blieb er stehen und schaute zurück, gerade rechtzeitig, um im Mondlicht eine Gestalt zu sehen, die geduckt über die Lichtung lief. Es war der Mann, den Ditpold auf seine Spur gesetzt hatte. Baudolino wartete im Schutz der Bäume, bis der Mann so nahe herangekommen war, dass er fast in ihn hineingerannt wäre, setzte ihm dann die Schwertspitze auf die Brust und sagte auf Flämisch, während der andere vor Schreck wimmerte: »Dich kenne ich, du bist einer der Brabanter. Was machst du hier außerhalb des Lagers? Sprich, ich bin ein Ministeriale des Kaisers!«
    Der Mann stammelte etwas von einer Frauengeschichte, und es klang sogar halbwegs überzeugend. »Na gut«, sagte Baudolino, »jedenfalls ist es ein Glück, dass du gerade vorbeigekommen bist. Folge mir, ich brauche jemanden, der aufpasst, während ich etwas mache.«
    Für den Mann war es ein Geschenk des Himmels, er war nicht nur unerkannt geblieben, sondern konnte seine Spitzeltätigkeit Arm in Arm mit dem Bespitzelten fortsetzen. Baudolino ging zu dem Dickicht, das ihm Trotti gezeigt hatte. Er brauchte gar nichts zu fingieren, denn er musste wirklich eine Zeitlang stöbern und wühlen, bis er den alten Grenzstein fand, wobei er etwas vor sich hin brummelte von einem Hinweis, den er gerade von einem seiner Informanten bekommen habe. Endlich fand er den Stein, der tatsächlich so aussah, als ob er da mit den Sträuchern gewachsen wäre, untersuchte ringsum den Boden, schob das Laub und die Zweige beiseite, bis ein Eisengitter zum Vorschein kam. Er bat den Brabanter, ihm zu helfen, und gemeinsam hoben sie es hoch: Darunter waren drei Stufen. »Hör zu«, sagte er zu dem Mann. »Du steigst runter und gehst durch den Tunnel, der hier sein muss, bis es nicht mehr weitergeht. Am Ende wirst du vielleicht schon Lichter sehen. Schau dir alles an und merk dir gut, was du siehst. Dann komm zurück und berichte mir. Ich warte hier und passe auf, dass keiner kommt.«
    Der Mann fand es ganz natürlich, wenn auch leidvoll, dass ein feiner Herr ihn erst bat, für ihn den Aufpasser zu spielen, und dann, wenn es brenzlig wurde, ihn in die Gefahr schickte, um selber die Rolle des Aufpassers zu übernehmen. Doch Baudolino hatte das Schwert gezückt, sicher um ihm den Rücken zu decken, obwohl man das ja bei diesen Herren nie weiß, und so bekreuzigte sich der Spitzel und stieg hinunter. Als er nach etwa zwanzig Minuten zurückkam, erzählte er keuchend, was Baudolino schon wusste, nämlich dass sich am Ende des Ganges ein nicht sehr schwer zu entfernendes Eisengitter befinde, hinter dem ein leerer Platz zu sehen sei, dass also der Tunnel direkt in die Stadt hineinführe.
    »Gab es Biegungen«, fragte Baudolino, »oder ist es immer geradeaus gegangen?« – »Immer geradeaus«, sagte der andere. Und Baudolino, als spreche er mit sich selbst: »Also befindet sich der Ausgang nur wenige Dutzend Schritte hinter dem Tor. Dieser Bestochene hatte also recht ...« Dann sagte er zu dem Brabanter: »Du hast kapiert, was wir entdeckt haben. Beim nächsten Sturmangriff kann eine Handvoll mutiger Männer in die Stadt eindringen, sich bis zum Tor durchschlagen und es von innen öffnen. Es genügt, dass draußen andere bereitstehen, um hineinzustürmen. Mein Glück ist gemacht! Aber du darfst niemandem sagen, was du hier gesehen hast, ich will nicht, dass sich jemand meine Entdeckung zunutze macht.« Er drückte ihm zur Bekräftigung eine Münze in die Hand, und der Preis des Schweigens war so lächerlich, dass der Spitzel wenn nicht aus Treue zu Ditpold, so zumindest aus Rache sofort loslaufen und ihm alles erzählen würde.
    Man kann sich leicht vorstellen, was dann geschah. In der Annahme, dass Baudolino die Entdeckung geheim halten wolle, um seinen belagerten Freunden nicht zu schaden, eilte Ditpold zum Kaiser, um ihm zu sagen, dass sein geliebter Adoptivsohn einen Geheimgang in die Stadt entdeckt habe, aber sich hüte, es zu sagen. Der Kaiser hob die Augen zum Himmel, als wollte er sich für den gesegneten

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