Die historischen Romane
von all den Prüfungen, denen du dich unterzogen hast. Du kennst diesen Fluss nicht, er scheint mir voller Strudel zu sein. Warum willst du dich in Gefahr bringen?«
»Weil ich noch nicht so alt bin, wie du denkst, mein Sohn. Wenn es nicht schon so spät wäre, würde ich gleich jetzt hingehen, weil ich mich so verschwitzt und staubig fühle. Ein Kaiser darf nicht stinken, außer nach dem Öl der heiligen Salbung. Sorg dafür, dass Pferde dort sind.«
»Wie es im Kohelet heißt«, warf Rabbi Solomon schüchtern ein, »du sollst nicht gegen den Strom schwimmen.«
»Und wer hat gesagt, dass ich gegen ihn schwimmen werde?« rief Friedrich lachend. »Ich werde der Strömung folgen.«
»Man sollte sich nie zu oft waschen«, sagte Ardzrouni, »es sei denn unter Anleitung eines guten Arztes, doch du bist hier der Herr. Jetzt aber, solange es noch hell ist, jetzt wäre es mir eine unverdiente Ehre, dir meine Burg zeigen zu dürfen.«
Er führte sie die Freitreppe hinunter und im unteren Stockwerk durch einen großen Saal, der für das abendliche Bankett hergerichtet und bereits von zahlreichen Kandelabern beleuchtet wurde. Danach kamen sie in einen Saal voller Schemel, der an einer Seite eine große in Stein gemeißelte umgekehrte Schnecke aufwies, eine spiralförmige Öffnung, die sich trichterartig nach innen verjüngte. »Dies ist der Saal der Wachen, von dem ich gesprochen habe«, sagte der Burgherr. »Wer hier spricht und dabei den Mund nahe an diese Öffnung hält, kann oben in deinem Zimmer verstanden werden.«
»Ich würde gern einmal hören, wie das funktioniert«, sagte Friedrich. Baudolino spaßte, er könne ja in der Nacht einmal herkommen und dem schlafenden Kaiser einen Gruß hinaufschicken. Friedrich lachte und sagte nein, diese Nacht wolle er ungestört schlafen. »Es sei denn«, fügte er hinzu, »du musst mich warnen, dass der Sultan von Ikonion durch den Kamin herunterkommt.«
Ardzrouni führte sie durch einen weiteren Korridor in einen Saal mit hohen Gewölben, der von flackernden Lichtern erhellt und von Dämpfen erfüllt war. Er enthielt Kessel, in denen eine Flüssigkeit brodelte, allerlei gewundene Flaschen, Glasröhren und andere sonderbare Gefäße. Friedrich fragte den Burgherrn, ob er Gold erzeuge. Ardzrouni lachte und sagte, das seien Alchimistenmärchen. Aber er verstehe sich auf die Kunst, Metalle zu vergolden und Elixiere zu brauen, die zwar kein ewiges Leben verhießen, aber das allzu kurze, das uns beschieden sei, ein wenig verlängern könnten. Friedrich lehnte es jedoch ab, davon zu kosten. »Gott hat die Länge unseres Lebens festgesetzt, und man soll sich Seinem Willen fügen. Vielleicht sterbe ich morgen, vielleicht werde ich hundert Jahre alt. Das liegt ganz in der Hand des Herrn.« Rabbi Solomon fand, das seien sehr weise Worte, und die beiden unterhielten sich eine Weile über die Frage der göttlichen Ratschlüsse. Es war das erste Mal, dass Baudolino seinen Adoptivvater über diese Dinge reden hörte.
Während die beiden miteinander sprachen, sah Baudolino aus den Augenwinkeln, wie Zosimos durch eine kleine Tür in einen angrenzenden Raum schlüpfte und Ardzrouni ihm sogleich besorgt folgte. In der Furcht, dass Zosimos irgendeinen Geheimgang kannte, durch den er entfliehen könnte, folgte Baudolino den beiden, und so kamen sie in eine Kammer, in der nur eine Anrichte stand, auf der sich sieben vergoldete Köpfe befanden. Alle sieben stellten dasselbe bärtige Gesicht dar und standen auf einem Sockel. Es handelte sich offensichtlich um Reliquiare, man sah, dass die Köpfe sich aufklappen ließen wie Schreine, aber die Ränder des wie eine Tür aufklappbaren Vorderteils, der das Gesicht zeigte, waren mit dunklem Siegellack am hinteren Teil festgeklebt.
»Was suchst du?« fragte Ardzrouni den vor ihm eingetretenen Zosimos, ohne bemerkt zu haben, dass auch Baudolino hereingekommen war.
»Ich habe schon davon reden gehört«, antwortete Zosimos, »dass du Reliquien fabrizierst und dazu deine Hexereien mit dem Vergolden von Metallen benutzt. Das sind Täuferköpfe, nicht wahr? Johanneshäupter. Ich habe schon andere gesehen, und jetzt weiß ich auch, woher sie stammen.«
Baudolino räusperte sich leise. Ardzrouni fuhr herum, schlug sich die Hand vor den Mund und rollte erschrocken die Augen. »Ich bitte dich, Baudolino, sag dem Kaiser nichts, sonst lässt er mich hängen«, sagte er leise. »Es stimmt, das sind Reliquiare mit dem echten Haupt Johannes' des Täufers. In jedem
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