Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
fast hingehauchten Entschuldigung endete. Es war Berengar von Arundel, der Adlatus des Bibliothekars, der so gesprochen hatte. Ein junger Mönch mit bleichem Gesicht, bei dessen Anblick mir unwillkürlich in den Sinn kam, was Ubertin von dem toten Adelmus gesagt hatte: Seine Augen glichen den Augen eines lüsternen Weibes. Eingeschüchtert von den Blicken der Umstehenden, die sich alle ihm zugewandt hatten, drehte und wand er die Hände wie einer, der eine innere Spannung zu unterdrücken versucht.
    Einzigartig war die Reaktion des Venantius. Er fixierte Berengar streng, so dass dieser die Augen niederschlug, und sagte: »Schon recht, Bruder. Wenn das Gedächtnis ein Geschenk Gottes ist, so kann auch die Fähigkeit zu vergessen eine kostbare Gabe sein, die Achtung verdient. Aber ich achte sie nur bei dem ehrwürdigen Mitbruder, zu dem ich soeben sprach. Von dir hätte ich eine lebhaftere Erinnerung an die Dinge erwartet, die damals passiert sind, als wir hier standen, zusammen mit einem deiner liebsten Freunde...«
    Ich könnte nicht sagen, ob Venantius den Worten »deiner liebsten« besonderen Nachdruck gegeben hatte. Tatsache ist jedoch, dass sich plötzlich eine allgemeine Verlegenheit über die Runde senkte. Jeder blickte in eine andere Richtung, und niemand schaute auf Berengar, der heftig errötete. Schließlich griff Malachias ein und sagte mit Entschiedenheit: »Kommt, Bruder William, ich werde Euch noch einige andere interessante Bücher zeigen.«
    Die Gruppe löste sich auf. Ich konnte gerade noch sehen, wie Berengar dem Venantius einen grollenden Blick zuwarf, den dieser mit stummer Herausforderung zurückgab. Zugleich aber sah ich, dass der alte Jorge sich zurückziehen wollte, und bewegt von einem spontanen Impuls, ihm meine Verehrung zu bezeugen, neigte ich mich, um seine Hand zu küssen. Der Alte nahm meinen Kuss entgegen, legte mir die Hand auf den Kopf und fragte, wer ich sei. Als ich ihm meinen Namen nannte, erhellte sich sein Gesicht.
    »Du trägst einen großen und schönen Namen«, sagte er. »Weißt du, wer Adson von Montier-en-Der war?« Ich gestand, dass ich es nicht wusste. Woraufhin Jorge erklärte: »Er war der Autor eines großen und erschütternden Buches, des Libellus de Antichristo, in welchem er Dinge sah, die eines Tages geschehen werden. Doch er fand kaum Gehör...«
    »Das Buch wurde vor der Jahrtausendwende geschrieben«, sagte William, »und seine Voraussagen haben sich nicht erfüllt...«
    »Nur für jene nicht, die keine Augen haben zu sehen«, sagte der Blinde. »Die Wege des Antichrist sind langwierig und verschlungen. Er kommt, wenn wir ihn am wenigsten erwarten – und nicht, weil die Berechnungen falsch wären, die der Apostel uns nahegelegt, sondern weil wir nicht gelernt haben, sie zu deuten.« Und mit donnernder Stimme rief er, das Antlitz zum Saale gewandt, so dass die Deckengewölbe erbebten: »Er ist schon im Kommen! Vergeudet nicht eure letzten Tage mit Lachen über die albernen kleinen Monster mit scheckigem Fell und gewundenen Schwänzen! Nutzet die letzten sieben Tage!«

 
     
    Erster Tag
VESPER
    Worin der Rest der Abtei besichtigt wird und William erste Schlussfolgerungen über den Tod des Adelmus zieht sowie mit dem Bruder Glaser spricht, erst über Lesegläser und dann über die Hirngespinste der allzu Lesebegierigen.
     
    I n diesem Augenblick läutete es zur Vesper, und die Mönche schickten sich an, ihren Arbeitsplatz zu verlassen. Malachias bedeutete uns, dass auch wir nun zu gehen hätten; er werde mit seinem Adlatus noch bleiben, um aufzuräumen und, wie er sich ausdrückte, die Bibliothek für die Nacht herzurichten. William fragte ihn, ob er danach die Türen verschließen werde.
    »Es gibt keine Türen«, erklärte der Bibliothekar, »die den Zugang zum Skriptorium von der Küche und vom Refektorium versperren, ebenso wenig wie den vom Skriptorium zur Bibliothek. Das Verbot des Abtes muss stärker sein als jedes Schloss. Die Mönche haben Küche und Refektorium bis Komplet zu verlassen, und zu dieser Stunde verschließe ich eigenhändig beiden unteren Pforten, damit keine Fremden und keine Tiere, für die das Verbot keine Wirkung hat, ins Aedificium gelangen. Danach bleibt das Gebäude leer.«
    Wir gingen hinunter. Während die Mönche sich in die Kirche begaben, entschied William, dass der Herr uns gewiss vergeben werde, wenn wir für diesmal nicht am Vespergottesdienst teilnähmen (der Herr hatte uns in den folgenden Tagen noch viel zu vergeben!),

Weitere Kostenlose Bücher