Die historischen Romane
und schlug mir einen kleinen Rundgang vor, um uns mit dem Gelände besser vertraut zu machen.
Wir gingen durch die Küche hinaus und schritten über den Friedhof. Einige Gräber waren sichtlich jüngeren Datums, andere trugen die Spuren der Zeit und kündeten von den irdischen Tagen der Mönche, die in den vergangenen Jahrhunderten hier gelebt hatten. Namen standen allerdings nicht auf den Gräbern, nur schlichte steinerne Kreuze.
Das Wetter verschlechterte sich. Ein kalter Wind war aufgekommen, und der Himmel hatte sich bezogen. Im Westen hinter den Gärten erriet man eine untergehende Sonne, und im Osten war es schon fast dunkel. Dorthin wandten wir unsere Schritte, gingen am Chor der Kirche vorbei und erreichten den Hinterhof, in den wir bereits am Nachmittag einen kurzen Blick hatten werfen können. Vor unseren Augen lagen die Ställe, im Norden fast an die Umfassungsmauer gelehnt, wo sie an den Sockel des Aedificiums stieß und einige Männer damit beschäftigt waren, den Bottich mit dem frischen Schweineblut abzudecken. Wir bemerkten, dass die Mauer an einer Stelle hinter dem Schweinestall etwas niedriger war, so dass man hinübersehen konnte. Als wir uns über die Brüstung beugten, sahen wir auf dem steil abfallenden Hang darunter allerlei Scherben, die der Schnee nicht ganz zu bedecken vermochte. Offenbar handelte es sich um Teile des Abfalls, der hier hinausgekippt wurde und sich den Berg hinunter ergoss bis zu jenem Seitenpfad, in den der entsprungene Brunellus sich heute Morgen geflüchtet hatte. Ich sage ergoss, denn es handelte sich um einen breiten Strom von stinkendem Müll, dessen Geruch bis zu uns heraufdrang. Vermutlich pflegten die Bauern sich unten zu holen, was sie zum Düngen ihrer Felder gebrauchen konnten. Doch mit den Ausscheidungen der Tiere und Menschen vermischten sich andere Abfälle, festere Gegenstände, der ganze Auswurf, den die Abtei tagtäglich absonderte, um sich rein zu halten in ihrer Beziehung zum Gipfel des Berges und zum Himmel.
Wir wandten uns ab und gingen weiter. Unser Weg führte uns den Hof hinunter, vorbei an den Ställen der Pferde, die gerade zur Futterraufe geführt wurden, und an den übrigen Stallungen, die sich längs der Mauer aneinanderreihten, während sich gegenüber, also zu unserer Rechten, an den Chor der Kirche gelehnt, das Dormitorium erstreckte, gefolgt von einem flachen Latrinenbau. Am unteren Ende des Hofes, wo die Mauer nach Westen abbog, lag im Winkel die Schmiede. Die letzten Handwerker sammelten gerade ihre Werkzeuge ein und löschten die Esse, um sich zum Vespergottesdienst zu begeben. William trat näher und schaute neugierig in einen Seitenraum, der vom Rest der Werkstatt abgeteilt war und worin wir einen Mönch seine Gerätschaften ordnen sahen. Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes lag eine prächtige Sammlung farbiger kleiner Gläser, größere Scheiben lehnten an der Wand. Ein noch unvollendeter Reliquienschrein, von dem bisher nur das silberne Gehäuse existierte, stand vor dem Mönch, der offensichtlich damit beschäftigt war, Gläser und kostbare Steine daran zu befestigen, die er mit Hilfe seiner Instrumente zur Größe von Gemmen reduziert hatte.
Wir machten Bekanntschaft mit Bruder Nicolas von Morimond, dem Glasermeister der Abtei. Er erklärte uns freundlich, dass im hinteren Teil der Werkstatt auch Glas geblasen werde, während vorn, wo wir die Handwerker aufräumen sahen, die Scheiben in bleierne Fassungen eingesetzt würden, um Fenster daraus zu machen. Allerdings, so fügte er traurig hinzu, sei das große Werk der Glaskunst, das der Kirche und dem Aedificium ihren Glanz verleihe, bereits vor mindestens zweihundert Jahren vollendet worden, und heute beschränke man sich auf kleinere Arbeiten sowie auf Reparaturen der im Laufe der Zeit entstandenen Schäden.
»Und glaubt mir, das ist sehr mühsam«, versicherte er, »denn es gelingt uns nicht mehr, die Farben von einst zu finden, besonders das Blau, das ihr noch im Chor bewundern könnt und dessen Klarheit so herrlich ist, dass es die Kirche bei hohem Sonnenstand mit einem geradezu paradiesischen Licht erfüllt. Die Fenster im Westteil der Kirche, die wir erst vor Kurzem erneuern mussten, sind längst nicht so gut geworden. Es hat keinen Zweck mehr«, seufzte er traurig, »wir haben nicht mehr das Können der Alten, die Zeit der Riesen von einst ist vorbei!«
»Ja, wir sind Zwerge«, nickte William, »aber Zwerge, die auf den Schultern der Riesen von einst sitzen, und so
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