Die historischen Romane
jener Kugel auf sich hat, die sich dreht und dabei Dampf ausstößt, wie die Archimedes-Spiegel brennen und Dinge in Brand stecken können, wie erschreckend es ist, wenn man nachts eine Windmühle sieht, und schließlich erzählte ich ihm vom Gradal, von den Rittern, die ihn noch immer in der Bretagne suchen, und dass wir ihn seinem Vater zurückbringen würden, sobald wir den treulosen Zosimos wiedergefunden hätten. Als ich sah, dass all diese Herrlichkeiten ihn faszinierten, zugleich aber ihre Unerreichbarkeit ihn betrübte, hielt ich es für gut – um ihm deutlich zu machen, dass es noch schlimmere Leiden gab als das seine –, ihm von den Folterqualen des Andronikos zu erzählen, mit Einzelheiten, die weit übertrafen, was ihm angetan worden war, von den Massakern in Crema, von den Gefangenen mit abgeschnittenen Händen, Ohren und Nasen, ich malte ihm unsägliche Krankheiten aus, mit denen verglichen die Lepra das kleinere Übel war, ich beschrieb ihm als grässliche Leiden die Skrofulose, die Wundrose, die Gürtelrose, den Veitstanz, den Tarantelstich, die Krätze, die einen dazu bringt, sich die Haut Schuppe für Schuppe aufzukratzen, den unheilvollen Biss der Aspisviper, die Marter der heiligen Agathe, der sie die Brüste abrissen, die der heiligen Lucia, der sie die Augen ausstachen, die des heiligen Sebastian, der von Pfeilen durchbohrt wurde, die des heiligen Stephanus, dessen Schädel von Steinen zertrümmert wurde, die des heiligen Laurentius, der bei kleinem Feuer auf einem Rost gebraten wurde, und ich erfand weitere Heilige und weitere Grässlichkeiten, wie den heiligen Ursicinus, den sie vom Anus bis zum Mund mit einem Pfahl durchbohrten, den heiligen Sarapion, dem sie die Haut abzogen, den heiligen Mopsuestios, den sie mit Armen und Beinen an vier rasende Pferde banden und vierteilten, den heiligen Dracontios, den sie zwangen, kochendes Pech zu trinken ... Mir schien, dass ihm diese Greuel eine gewisse Erleichterung verschafften, aber dann fürchtete ich, übertrieben zu haben, und ging dazu über, ihm die weiteren Schönheiten der Welt zu beschreiben, die den Gefangenen schon erquickten, wenn er bloß an sie dachte: die Anmut der jungen Pariserinnen, den trägen Liebreiz der venezianischen Dirnen, den unvergleichlichen Duft einer Kaiserin, das kindliche Lachen meiner Colandrina, die Augen einer fernen Prinzessin. Er geriet in Erregung, wollte mehr davon hören, fragte nach dem Haar der Gräfin Melisande von Tripoli, nach den Lippen jener strahlenden Schönheiten, die die Ritter von Broceliande mehr verzauberten als der Gradal; er erregte sich, Gott vergebe mir, aber ich glaube, dass er ein- oder zweimal eine Erektion hatte und das Vergnügen des Samenergusses erlebte. Und damit nicht genug, versuchte ich ihm begreiflich zu machen, wie reich das Universum an betörenden Düften ist, und da ich keine Duftstoffe bei mir trug, versuchte ich mich an die Namen sowohl derer zu erinnern, die ich kennengelernt hatte, als auch an die, die ich nur dem Namen nach kannte, in der Annahme, dass diese Namen ihn betäubten wie die Gerüche, und so nannte ich ihm den Moschus, den Balsam, den Weihrauch, die Narde, den Bocksdorn, die Röhrenkassie, den Sandarak, das Sandelholz, den Safran, den Ingwer, den Kardamom, das Zinnamom, den Lorbeer, den Majoran, den Koriander, den Dill, den Estragon, den Nelkenpfeffer, den Sesam, den Mohn, die Muskatnuss, das Zitronellgras, die Kurkuma und den Kümmel. Der Diakon hörte mir voller Entzücken zu, schlug sich die Hände vors Gesicht, als ob seine arme Nase all diese Gerüche gar nicht ertragen könnte, fragte schluchzend, was diese vermaledeiten Eunuchen ihm bisher zu essen gegeben hätten unter dem Vorwand, er sei krank, immer nur Ziegenmilch und in burq getunktes Brot, von dem sie behaupteten, es sei gut für die Lepra, und so habe er seine Tage benebelt verbracht, fast immer schlafend und tagaus, tagein mit demselben Geschmack im Munde.«
»Du hast seinen Tod beschleunigt, indem du ihn zur Raserei und zur äußersten Aufreizung aller Sinne gebracht hast. Und zugleich hast du deine Lust am Fabulieren befriedigt, du warst stolz auf deine Erfindungen.«
»Vielleicht, aber für das bisschen, was er noch zu leben hatte, habe ich ihn glücklich gemacht. Und außerdem, ich habe dir von unseren Gesprächen erzählt, als hätten sie alle an einem Tag stattgefunden, aber inzwischen hatte sich auch in mir eine neue Flamme entzündet, und ich lebte in einem ständigen Hochgefühl, das
Weitere Kostenlose Bücher