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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Pilger und der Kapitelsaal mit dem Garten, links die Olivenpressen, die Mühle, die Speicher, der Weinkeller und das Novizenhaus. Und überall sahen wir Mönche zur Kirche eilen.
    »Was haltet Ihr von Nicolas’ Worten?« fragte ich William.
    »Ich weiß nicht. Sicher ist, dass in der Bibliothek etwas vorgeht, und ich glaube nicht, dass es die Geister der verstorbenen Bibliothekare sind...«
    »Warum nicht?«
    »Weil sie, wie ich annehme, doch wohl so tugendhaft waren, dass sie jetzt eher im Himmel sitzen und das Antlitz der göttlichen Weisheit schauen, wenn dir diese Antwort genügt. Was die Lampen betrifft, so werden wir ja sehen, ob es dort welche gibt. Und was die magischen Salben betrifft, von denen uns unser wackerer Glasermeister erzählt hat, so gibt es einfachere Methoden, um Visionen hervorzurufen, und Severin kennt sie genau, wie du heute bemerkt hast. Sicher ist, dass jemand in dieser Abtei die die Mönche partout daran hindern will, nachts in die Bibliothek einzudringen, und dass es viele trotzdem versucht haben.«
    »Und das Verbrechen, das wir untersuchen, hat mit diesen Dingen zu tun?«
    »Verbrechen? Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr gelange ich zu dem Schluss, dass Adelmus sich selber umgebracht hat .«
    »Wieso?«
    »Erinnerst du dich an heute Morgen, als wir den Kehrweg unter dem Ostturm hinaufstiegen und ich die Müllhalde sah? An jener Stelle fand ich die Spuren eines kleinen Erdrutsches: Ganz offensichtlich war ein Teil des lockeren Erdreichs, ungefähr dort, wo der Müll sich häufte, abgerutscht und den Steilhang hinuntergeglitten bis unter den Turm. Deswegen erschien uns vorhin, als wir über die Mauer hinunterblickten, der Müll so wenig mit Schnee bedeckt: Er war gerade nur vom Schnee der letzten Nacht überzogen, nicht aber von dem der Tage zuvor. Was nun die Leiche des armen Adelmus betrifft, so hat uns der Abt gesagt, dass sie über scharfe Felsvorsprünge gefallen sein musste. Doch unter dem Ostturm wachsen Pinien. Die Felsen sind genau an dem Ort, wo die Mauer im Hinterhof an den Turm stößt und der Abfall hinuntergekippt wird.«
    »Und weiter?«
    »Nun ja, wäre es nicht... wie soll ich sagen... weniger aufwendig für unser Kombinationsvermögen, wenn wir annähmen, dass Adelmus sich aus Gründen, die noch zu klären sein werden, kraft eigenen Entschlusses von jener Mauerbrüstung gestürzt hat, über die Felsen hinuntergefallen und schließlich, tot oder tödlich verletzt, im Müll gelandet ist? Und dass dann ein Erdrutsch, ausgelöst durch den Sturm jener Nacht, den Müll und einen Teil des Bodens mitsamt dem Körper des Unseligen bis unter den Ostturm gespült hat?«
    »Warum sagt Ihr, dass diese Annahme weniger aufwendig für unser Kombinationsvermögen sei?«
    »Mein lieber Adson, man soll die Erklärungen und Kausalketten nicht komplizierter machen, als es unbedingt nötig ist. Wenn Adelmus aus dem Ostturm gefallen wäre, müsste jemand in die Bibliothek eingedrungen sein, ihn niedergeschlagen haben, damit er keinen Widerstand leistete, es dann fertiggebracht haben, mit dem leblosen Körper auf den Schultern zu einem Fenstersims hochzuklettern, das Fenster zu öffnen und den Körper schließlich hinauszuwerfen. Bei meiner Hypothese genügen Adelmus, sein Todeswille und ein kleiner Erdrutsch. Alles erklärt sich mit einer viel geringeren Anzahl von Elementen.«
    »Aber warum sollte er sich umgebracht haben?«
    »Warum sollte ihn jemand anders umgebracht haben? In jedem Fall müssen wir Gründe suchen. Und ich bin sicher, dass es welche gibt. Im Aedificium herrscht dicke Luft, du kannst sie förmlich mit Händen greifen, jeder verschweigt uns etwas. Bislang haben wir nur ein paar vage Andeutungen über eine besondere Beziehung zwischen Adelmus und Berengar mitbekommen. Wir sollten also den Bibliothekarsgehilfen im Auge behalten.«
    Bei diesen Worten bogen wir um die Ecke und sahen, dass der Vespergottesdienst gerade zu Ende war. Alles strömte aus der Kirche, die Knechte und Diener kehrten an ihre Arbeitsplätze zurück, die Mönche begaben sich ins Refektorium. Es war inzwischen ganz dunkel geworden und hatte zu schneien begonnen – ein leichter Schneefall mit kleinen weichen Flocken, der wohl die ganze Nacht lang anhielt, denn am nächsten Morgen war das ganze Gelände mit einem weißen Schleier bedeckt, wie ich noch berichten werde.
    Ich hatte Hunger und freute mich auf das Essen.

 
     
    Erster Tag
KOMPLET
    Worin William und Adson die üppige Gastfreundlichkeit

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