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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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nennen. Ich fand Personen wieder, die mir in der Schule als Träger des Lichts der Mathematik und Physik inmitten der Finsternis des Aberglaubens nahegebracht worden waren, und entdeckte, dass sie bei ihrer Arbeit im Laboratorium mit einem Fuß in der Kabbala gestanden hatten. War ich womöglich dabei, die ganze Geschichte mit den Augen unserer Diaboliker neu zu lesen? Ich riss mich zusammen, aber dann fand ich unverdächtige Texte, die mir erzählten, wie die positivistischen Physiker, sobald sie abends die Universität verließen, eiligst hingingen, um sich in telepathische Séancen und astrologische Tafelrunden zu stürzen, und wie Newton zu den Gesetzen der universalen Gravitation gelangt war, weil er an die Existenz okkulter Kräfte glaubte (was mich an seine Ausflüge in die rosenkreuzerische Kosmologie erinnerte).
    Ich hatte mir die Ungläubigkeit zu einer wissenschaftlichen Pflicht gemacht, aber nun musste ich auch den Meistern misstrauen, die mich gelehrt hatten, ungläubig zu werden.
    Ich bin wie Amparo, sagte ich mir: ich glaube nicht daran, aber ich falle darauf herein. Und ich ertappte mich beim Nachdenken darüber, dass die Höhe der Großen Pyramide im Grunde ja wirklich ein Milliardstel der Entfernung Erde-Sonne betrug, oder dass es ja tatsächlich Analogien zwischen keltischer und indianischer Mythologie gab. Und so begann ich, alles und jedes, was mich umgab, zu befragen, die Häuser, die Firmenschilder, die Wolken am Himmel und die Abbildungen in den Büchern, um ihnen nicht ihre eigene Geschichte, sondern eine andere zu entlocken, eine, die sie gewiss verbargen, aber die sie letztlich gerade aufgrund und kraft ihrer mysteriösen Ähnlichkeiten enthüllten.
     
    Es rettete mich Lia, jedenfalls für den Moment.
    Ich hatte ihr alles (oder fast alles) von unserem Ausflug nach Piemont erzählt, und jeden Abend kam ich mit neuen kuriosen Entdeckungen heim, um sie in meine Kartei der Querverweise einzutragen. »Iß, du bist dünn wie ein Nagel«, lautete ihr Kommentar. Eines Abends setzte sie sich seitlich neben mich an den Schreibtisch, teilte die Mähne in der Mitte der Stirn, um mir gerade in die Augen zu sehen, und legte die Hände in den Schoß, wie es Hausfrauen tun. So hatte sie sich noch nie hingesetzt: die Beine gespreizt, so dass der Rock sich über den Knien spannte. Nicht sehr anmutig, dachte ich. Aber dann sah ich in ihr Gesicht, und es schien mir zu leuchten, übergossen von einer zarten Färbung. Und ich hörte ihr – noch ohne zu wissen warum – mit Respekt zu.
    »Pim«, sagte sie, »mir gefällt die Art nicht, wie du mit dieser Manuzio-Geschichte umgehst. Erst hast du Fakten gesammelt, wie andere Leute Muscheln sammeln. Jetzt scheint es, als ob du Lottozahlen ankreuzt.«
    »Das ist bloß, weil ich mich mit denen mehr amüsiere.«
    »Du amüsierst dich nicht. Du bist fasziniert. Das ist was anderes. Pass auf, die machen dich krank.«
    »Jetzt übertreib nicht. Krank sind höchstens die selber. Man wird nicht verrückt, wenn man als Pfleger in der Klapsmühle arbeitet.«
    »Das wäre erst noch zu beweisen.«
    »Ich habe den Analogien immer misstraut, das weißt du. Und jetzt bin ich auf einmal mitten in einem Fest von Analogien, einem Coney Island, einem Ersten Mai in Moskau, einem Heiligen Jahr der Analogien, und dabei stelle ich fest, dass einige besser als andere sind, und frage mich, ob es dafür nicht zufällig einen Grund gibt.«
    »Pim«, sagte Lia, »ich hab mir deine Karteikarten angesehen. Ich bin es ja, die sie hinterher wieder ordnen muss. Was immer deine Diaboliker auch entdecken, es ist alles schon hier, schau her«, und sie klopfte sich auf den Bauch, an die Hüften, auf die Schenkel und an die Stirn. So wie sie dasaß, breitbeinig, mit gestrafftem Rock, frontal vor mir, erschien sie mir wie eine stämmige, blühende Amme – sie, die so zart und biegsam war –, denn eine ruhige Klugheit erleuchtete sie von innen mit matriarchalischer Autorität.
    »Pim, es gibt keine Archetypen, es gibt nur den Körper. Das Innen ist schön, weil da drinnen im Bauch das Kind heranwächst, dein Piephahn schlüpft da fröhlich hinein, und die gute, wohlschmeckende Speise sinkt da hinunter, und darum sind schön und wichtig die Höhle, die Schlucht, der Gang, der Untergrund und sogar das Labyrinth, das genauso beschaffen ist wie unsere guten und heiligen Eingeweide, und wenn jemand was Wichtiges erfinden muss, dann lässt er's von da drinnen kommen, weil auch du von da drinnen gekommen bist

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