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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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volkstümlich-christliche Adaptation von ihr, nicht zufällig ist er ein Engel, mithin androgyn, so dass er den Platz einer weiblichen Gottheit einnehmen konnte ... «
    »Wo kommen die her?« flüsterte Diotallevi.
    »Aus verschiedenen Gegenden, aus der Normandie, aus Norwegen, Irland ... Es handelt sich um ein ziemlich singuläres Ereignis, und dies hier ist ein besonders geeigneter Ort für den Ritus.«
    »Warum?« fragte Garamond.
    »Manche Orte sind eben magischer als andere.«
    »Aber was für Leute sind das ... im Leben?«
    »Nun, Leute eben. Sekretärinnen, Versicherungsagentinnen, Dichterinnen. Leute, denen Sie morgen auf der Straße begegnen könnten, ohne sie wiederzuerkennen.«
    Wir sahen jetzt eine kleine Schar in die Mitte der Lichtung strömen. Ich begriff, dass die kalten Lichter, die ich gesehen hatte, kleine Lampen waren, die die Priesterinnen in der Hand trugen, und dass sie mir deshalb so flach über dem Boden schwebend erschienen waren, weil die Lichtung auf dem Gipfel eines Hügels lag und ich die Druidinnen an den Rändern des Hochplateaus hatte auftauchen sehen. Sie trugen weiße Gewänder, die im leichten Wind flatterten. Sie ordneten sich zu einem Kreis, und drei von ihnen traten in die Mitte.
    »Das sind die drei hallouines von Lisieux, von Clonmacnois und von Pino Torinese«, flüsterte Agliè. Belbo fragte, warum gerade die, aber Agliè straffte die Schultern und sagte: »Still, warten Sie ab. Ich kann Ihnen nicht in drei Worten das Ritual und die Hierarchie der nordischen Magie erklären. Begnügen Sie sich mit dem, was ich Ihnen sage. Wenn ich nicht mehr sage, liegt es daran, dass ich nicht mehr weiß ... oder nicht mehr sagen darf. Ich muss einige Diskretionsregeln beachten ... «
    Im Zentrum der Lichtung lag ein Haufen Steine, der vage an einen Dolmen erinnerte. Vermutlich war die Lichtung gerade deswegen ausgesucht worden. Eine Priesterin stieg auf den Dolmen und blies in eine Trompete. Das Instrument glich noch mehr als das, welches wir vor ein paar Stunden gesehen hatten, einer Fanfare im Triumphmarsch der Aida . Doch es erklang ein weicher und dunkler Ton, der von sehr weither zu kommen schien. Belbo fasste mich am Arm: »Das ist das Ramsinga, das Alphorn der Thugs beim heiligen Banyan ... «
    Ich war taktlos. Ich begriff nicht, dass er den Scherz nur gemacht hatte, um damit andere Analogien zu verdrängen, und stieß das Messer in die Wunde: »Sicher wär's mit dem Baryton nicht so suggestiv.«
    Belbo nickte. »Die sind genau deswegen hier, weil sie kein Baryton wollen«, sagte er. Ich frage mich, ob es nicht an jenem Abend war, dass er eine Verbindung zu sehen begann, einen Zusammenhang zwischen seinen Träumen und dem, was in jenen Monaten mit ihm geschah.
    Agliè hatte unseren Dialog nicht verfolgt, uns aber flüstern hören. »Es handelt sich weder um eine Warnung noch um einen Appell«, sagte er. »Es ist eine Art Ultraschallsignal, um Kontakt mit den unterirdischen Wellen herzustellen. Sehen Sie, jetzt halten sich die Druidinnen alle im Kreis an den Händen. Sie bilden eine Art lebendigen Akkumulator, um die Erdvibrationen aufzufangen und zu bündeln. Jetzt müsste die Wolke erscheinen ... «
    »Welche Wolke?« flüsterte ich.
    »Die Tradition nennt sie grüne Wolke. Warten Sie ... «
    Ich erwartete keinerlei grüne Wolke. Aber fast jählings erhob sich aus der Erde ein weicher Dunst – ein Nebel, hätte ich gesagt, wenn es eine uniforme Masse gewesen wäre. Es war eine flockige Masse, die sich an einem Punkt zusammenklumpte und dann, vom Wind getrieben, wie ein Gewölle aus Zuckerwatte aufstob, um durch die Luft zu schweben und sich an einem anderen Punkt der Lichtung niederzulassen. Der Effekt war einzigartig, bald tauchten die Bäume im Hintergrund auf, bald vermischte sich alles in einem weißlichen Dunst, bald wirbelte das Geflocke ins Zentrum der Lichtung, nahm uns die Sicht auf das, was geschah, ließ aber sowohl die Ränder frei als auch den Himmel, an dem der Mond weiterhin schien. Die Flocken bewegten sich ruckartig, unerwartet, als gehorchten sie den Stößen einer launischen Brise.
    Ich dachte zuerst an einen chemischen Kunstgriff, dann überlegte ich: Wir befanden uns auf etwa sechshundert Meter Höhe, es konnten durchaus echte Nebelschwaden sein. Waren sie im Ritus vorgesehen, womöglich von ihm evoziert? Nein, das wohl nicht, aber die Priesterinnen hatten damit gerechnet, dass sich auf dieser Höhe, unter günstigen Umständen, solche über den Boden irrenden

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