Die Hitlers: Die unbekannte Familie des Führers
mehr begleichen. Deswegen muss sie am 19. Januar 1939 zum Verhör auf das Polizeigericht Highgate. Es geht um 9 Pfund und 13 Schillinge, die sie im Rückstand ist. »Ich erwartete Geld von Deutschland, aber ich kann nichts darüber sagen«, versucht sie sich zu verteidigen. Die Beamten zeigen sich unbeeindruckt. Schließlich verspricht sie, die Summe binnen sechs Wochen in Raten zu begleichen. Nun wird ihr die Hitler-Prominenz zum Fluch: Der London Evening Standard berichtet über das peinliche Ereignis. Ein Grund mehr, das Land zu verlassen. William Patrick besorgt beiden Besuchsvisa für die USA. Das Duo schifft sich auf der »S.S. Normandie« ein. Die Stromrechnung hat Bridget nicht mehr bezahlt. Um nicht wegen ihres Namens aufzufallen, reisen die beiden unter dem Namen Carter-Stevens. Am 30. März 1939 erreichen sie New York.
Mit dem Betreten amerikanischen Bodens ist William Patrick Hitler wie ausgewechselt, erfüllt von Revanchegelüsten. Er hat nun eine neue Mission: den offenen Kampf gegen seinen Onkel. Dafür stellt der 28-Jährige seinen Namen Hitler in den Dienst der Sache. Er weiß auch schon wie: über die Öffentlichkeit. Gleich nach der Ankunft in der Millionenstadt gibt William – wie früher – Interviews. Der Times sagt er, der deutsche Reichskanzler sei »eine Bedrohung für die ganze Welt«. Bei allen persönlichen Animositäten gegenüber seinem Onkel zeigt sich William Patrick erstaunlich weitsichtig und nüchtern in seiner politischen Einschätzung – immerhin ist der Zweite Weltkrieg zu der Zeit noch fünf Monate entfernt. Adolf Hitler hatte am 15. März die Tschechei besetzen lassen und war selbst nach Prag gereist. Am 23. März folgte der Einmarsch ins unter litauischer Verwaltung stehende Memelland und der Abschluss eines Rückgabevertrags mit Litauen. Trotzdem ist für die anderen Nationen noch nicht eindeutig klar, wie und in welcher Geschwindigkeit sich der Konflikt ausweiten wird. Man glaubt noch an den Erfolg der Appeasementpolitik und garantiert Polens Unabhängigkeit. William Patricks Einschätzung seines Onkels ist nun durch und durch negativ. In der New York Times vom 31. März 1939 mutmaßt er: »Ich glaube, er hat einen Frankenstein geschaffen, den selbst er womöglich nicht mehr aufhalten kann … er (Hitler) hat die Macht, die europäische Zivilisation zu zerstören und vielleicht die ganze Welt. Die totalitären Länder gewinnen nicht durch ihre Stärke die Schlachten, sondern durch die Schwäche der Demokratien.«
Auch Mutter Bridget meldet sich zu Wort: »Ich vermute, die Hitlers in Berlin sind nicht sehr glücklich über unseren Besuch hier.« Da hat sie Recht. Es fällt nicht schwer, sich auszumalen, wie die Berichte aus Übersee, initiiert von dem lästigen Neffen, bei Adolf Hitler angekommen sind. Denn William Patrick belässt es nicht bei dem einen Pressetermin. Dem US-Magazin Time erklärt er am 10. April, er hasse seinen Onkel, und zwar aus zwei Gründen: Wegen dessen Politik und seiner Einstellung zu seiner Familie. »Der Führer ist besonders angreifbar bei Fragen zu seinen Verwandtschaftsbeziehungen«, berichtet William und breitet ausführlich den Hitlerschen Familienstammbaum aus, einschließlich der Verbindungen zu den Schwestern und dem Bruder, der unehelichen Geburt von Adolf Hitlers Vater und dessen dubioser Namensänderung von Schicklgruber in Hitler. Das ist unterhaltsamer Stoff für die amerikanischen Leser, die Adolf Hitler bisher nur mit trockenen außenpolitischen Meldungen in Verbindung brachten. Der Diktator, der in Deutschland solche Veröffentlichungen mit aller Macht unterband, steht vor der US-Öffentlichkeit quasi mit heruntergelassenen Hosen da. 179
Bridget und William Patrick haben Zimmer im Buckingham Hotel in der 6 th Avenue bezogen. Für den Engländer sind die Pressekontakte mehr als nur ein verlängertes Sprachrohr für seine Botschaften. Er begreift seine Auftritte in der Öffentlichkeit als Einnahmequelle und arrangiert einige Exklusivartikel in den Medien – gegen gutes Honorar, versteht sich. In der amerikanischen Illustrierten Look verfasst William Patrick im Juli 1939 ein mehrseitiges Melodram mit dem Titel »Warum ich meinen Onkel hasse«. Garniert mit Bildern von Adolf Hitler und aus dem privaten Fotoalbum des Neffen, berichtet der Autor über seinen Werdegang im Hitler-Reich und analysiert die Nazi-Entourage. Am 4. August legt er nochmals in dem französischen Medium Paris Soir nach und erzählt Interna unter der Rubrik
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