Die Hitzkammer
bemühte sich, seine Stimme fest und freundlich klingen zu lassen. »Wir sind zusammen in der Sabbathöhle, hoch oben im Otternberg, du und ich, ich bin bei dir, und du hast keine Angst. In der Höhle sind wir, du und ich, und du hast keine Angst. Sieh mir in die Augen, ja, so ist es gut. Du und ich, wir sind zusammen in der Sabbathöhle, und du hast keine Angst …«
Er merkte, dass er unwillkürlich seine Sätze wiederholte, empfand das als beruhigend für sie und sich selbst und sprach immerfort so weiter: »Wir sind in der Höhle, Freyja, du und ich, und du hast keine Angst. Siehst du die Höhle? Siehst du den Dom? Du bist in der Höhle, in der großen Halle, und du hast keine Angst. Es ist angenehm warm, denn das Feuer brennt. Du liegst am Feuer, es ist angenehm warm, und du hast keine Angst. Ich bin bei dir. Die Teufelsmasken machen dir auch keine Angst. Ich bin ja bei dir. Die Teufelsmasken haben Hörner und kantige Kiefer und große Augenlöcher, und einer der Teufel nimmt die Maske ab. Er nimmt die Maske ab, und du kannst ihn sehen. Du kannst sein Gesicht sehen, und du hast keine Angst. Ich bin j a bei dir. Du kannst das Gesicht des Teufels sehen, und du hast keine Angst. Wie sieht das Gesicht aus?« Freyj a schien in seinen Armen zu schlafen. Er unterbrach für einen Augenblick die Wiegebewegung. »Wie sieht das Gesicht aus, sag es, du siehst es doch?«
Freyja blinzelte. »Ja?«
»Wie sieht das Gesicht aus, Freyja?«
»Ich … ich weiß nicht.«
»Nun, das macht nichts. Achte nur auf meine Augen und meine Stimme.« Er versuchte es erneut, sprach die ganze Litanei von vorn, hoffte, den Bann, dem sie offenkundig noch immer ausgesetzt war, durch eine Art Gegenbann aufzulösen und an die Tiefen ihres Gedächtnisses zu kommen – allein, es wollte nicht gelingen.
Er wiegte sie weiter. Es wäre auch zu einfach gewesen, sagte er sich, wenn Freyja mir jetzt eine Beschreibung von Tauflieb geliefert hätte. Oder von einem der beiden anderen Teufel. Von Fetzer. Oder von Krabiehl, Veith, Meckel, Nichterlein. Oder von Gorm.
Während Lapidius sich die Namen vor Augen führte, wurde ihm einmal mehr bewusst, dass er zu viele Verdächtige hatte. Nur drei von ihnen konnten Filii Satani sein. Nichterlein kam bei näherer Betrachtung nicht in Frage. Er war zwar streitlustig, aber wohl nur einer von mehreren harmlosen Ziegenbockbesitzern. Meckel war Richter und Stadtrat und stand damit ständig im Blickpunkt der Öffentlichkeit; sollte er ein Sohn des Teufels sein, wäre das schon lange ruchbar geworden. Gleiches galt für die Stadträte und den Bürgermeister. Dennoch durfte angenommen werden, dass Meckel in die Mordfälle verwickelt war. Alle anderen, und das waren immerhin noch Krabiehl, Veith, Fetzer und Gorm, kamen als Teufel in Betracht.
Es war zum Verzweifeln. Es ging und ging nicht voran! Der Bohrer unter der Platte seines Experimentiertisches hatte ihn zwar auf Taufliebs Spur gebracht, ihm aber letztlich auch nicht weitergeholfen. Wie heftig der Schlosser jegliche Schuld abgestritten hatte! Fast konnte man glauben, er habe wirklich nichts mit den Morden zu tun.
Gab es denn noch andere Möglichkeiten, derart große Löcher in die Stirn eines Menschen zu schneiden? Lapidius grübelte und wiegte Freyja weiter, hin und her, hin und her … und merkte gar nicht, wie er seine Tätigkeit j ählings unterbrach. Er hatte eine Antwort auf alle seine Fragen gesehen, eine Lösung, die so überraschend war, dass er stocksteif dasaß. Und je länger er sich mit dieser Lösung beschäftigte, desto wahrscheinlicher kam sie ihm vor. Wie einfach sie war! Wochenlang hatte er in zahllose Richtungen gedacht, hatte sich das Hirn zermartert, hatte den unbedeutendsten Dingen Bedeutung beigemessen, und nun schien plötzlich alles klar.
Das Dumme war nur, dass er die Richtigkeit seiner Lösung heute nicht mehr überprüfen konnte. Um letzte Gewissheit zu erhalten, brauchte er den Schädel und viel Licht, und draußen am Himmel braute sich gerade etwas zusammen. Er musste sich gedulden. Aber gleich morgen früh wollte er den Kopf hervorholen und ihn – hoffentlich zum letzten Mal – untersuchen. Wenn nur das Licht ausreichte! Die letzten Tage waren so schön gewesen. Warum mussten ausgerechnet j etzt wieder Regenwolken aufziehen!
Es war so wichtig, das Rätsel um die Teufel aufzuklären. Lebenswichtig für Freyja. Wenn seine Lösung stimmte, würde sie mit Sicherheit von aller Schuld freigesprochen werden. Egal, wie die
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