Die Hitzkammer
den Richter Meckel, den Büttel, die Zeuginnen, gegen alle, die ihr Böses wollten. Was würde sie da draußen erwarten?
Lapidius. Er war so vornehm. Und er hatte sie geküsst. Sie hatte es im ersten Augenblick kaum wahrgenommen, zu miserabel war es ihr gegangen, später aber war es ihr bewusst geworden. Und sie hatte sich in Grund und Boden geschämt. Wegen ihres übel riechenden Speichels, wegen ihrer fehlenden Haare und Zähne, wegen ihrer schrecklichen Hässlichkeit. Trotzdem hatte er sie geküsst. Er hatte sogar gesagt: Du gehörst zu mir. Das war natürlich nicht ernst gemeint. Sie, eine Kräuterhökerin, und er, ein vornehmer Mann! Lächerlich. Und trotzdem, der Gedanke war nicht unangenehm …
Was war das? Stimmen? Gepolter? Freyja wollte sich aufrichten, war aber zu schwach dafür. So hielt sie nur das Ohr an den Sprechschacht. Was sie hörte, war Marthes Stimme, die laut, fast kreischend zu ihr heraufdrang:
»Sie redet nix, gar nix redet sie, ich sachs doch, so schlecht gehts ihr, un nu lass mich in Ruh!«
Mit wem sprach Marthe da? Freyj a spitzte noch mehr die Ohren. Mit Lapidius? Nein, das konnte nicht sein.
»Lass mich … du …« Marthes Stimme entfernte sich. »Du sollst … lassen, sonst …« Freyja konnte nicht mehr alles hören.
» … nein, verdammich, nein! …«
Dann kamen nur noch einzelne Schimpfwörter bei ihr an. »Hundsfott … Halunke! Au, au, au …«
Stille.
»Marthe?« Freyja rief so laut sie konnte in den Schacht. Aber es war nicht viel mehr als ein Flüstern, das ihr gelang. »Marthe?«
Die Magd gab keine Antwort. Mit wem hatte sie gesprochen? Wen hatte sie so übel beschimpft? Freyja wusste es nicht. Nur eines war klar: Lapidius konnte es nicht gewesen sein. Marthe hatte zwar ein lockeres Maul, aber in diesem Ton würde sie niemals mit ihrem Herrn reden.
Die Magd war fort, das wurde für Freyja zur Gewissheit. Und der, mit dem sie gezankt hatte, auch. Oder war es eine Frau gewesen? Traute Schott vielleicht, über die sie manchmal sprach? Freyja wusste es nicht. Irgendjemand war es gewesen, das stand fest. Und sie war wieder allein.
Die Angst meldete sich abermals. Und diesmal ließ sie nicht von Freyj a ab, obwohl sie immer wieder das eine Wort ausstieß:
»Lapidius! Lapidius! Lapidius!«
Lapidius legte die letzten Schritte zu seinem Haus zurück. Er freute sich auf ein kräftiges Mahl. Was die Magd wohl vom Markt geholt hatte? Sie musste längst in ihrer Küche sein und etwas Leckeres brutzeln. Er öffnete das schwere Schloss und stieß die Tür auf. »Marthe, ich bins!«
Nachdem er seinen Mantel über den Haken gestülpt hatte, schnupperte er erwartungsfroh, doch kein köstlicher Duft stieg ihm in die Nase. »Marthe?«
Er betrat die Küche und sah den gefüllten Einkaufskorb auf dem Tisch stehen. Sie war also vor ihm nach Haus gekommen. Schön. Aber wo war sie? Er machte sich auf die Suche. In ihrer Kammer war sie nicht. Ebenso wenig in den Wirtschaftsräumen. Auch nicht auf dem Hof und auf dem stillen Ort. Wo war sie nur? »Marthe! Martheee!«
»Lapidius.«
D er Ruf klang schwach an sein Ohr. Er war durch den Sprechschacht gekommen. Freyja! Wenigstens sie war da. Er trat an sein Bett und beugte sich über die Öffnung des Sprechschachts. »Freyj a, ich bin zurück. Weißt du, wo Marthe ist?«
»Nein, ich … nein.« Ihre Antwort war schwach und kaum verständlich.
»Nun gut, sie wird schon wieder auftauchen. Ich muss mich erst einmal um den Athanor kümmern. Danach komme ich zu dir hinauf.«
Er ging zu seinem roten Ziegelofen und überprüfte die Glut. Sie war schwach und kam nur noch einem Glimmen gleich. Das Feuer durfte nicht verlöschen! Er brauchte sofort das trockene Kleinholz, das neben den gewöhnlichen Scheiten hinter dem Haus lagerte. Er eilte hinaus und bemerkte dabei, dass die Hoftür sperrangelweit offen stand. Hatte er bei seiner Suche nach Marthe vergessen, sie zu schließen? Seltsam … Ihm fehlte die Muße, darüber nachzudenken. Der Athanor ging vor.
Kurz darauf führte er die tausendfach geübten Handgriffe der Feuerbewahrung aus, eine Tätigkeit, die ihn stets beruhigte. Doch heute wollte die innere Zufriedenheit sich nicht einstellen. Der Gedanke an Marthe ließ ihn nicht los. Und an die Filii Satani. Sie bedrohten Freyja, weil diese sie leibhaftig in der Sabbathöhle gesehen hatte. Und weil das so war, wurde er als ihr Beschützer ebenfalls bedroht. Und Marthe. Obwohl die Magd überhaupt nichts wissen konnte.
Aber wussten das auch
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