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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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so was wie Odysseus am Mast?«
    »Ganz genau!« Lapidius freute sich. Ihre Schlussfolgerung zeugte von Intelligenz. Freyja Säcklers Bildung mochte gering sein, gescheit war sie dennoch. »Durch das Schloss in der Tür, das dich am Fortlaufen hindert.«
    »Aber Odysseus hat schöne Lieder gehört. Und ich werd nur Schmerzen haben.«
    »Das stimmt. Aber am Ende wirst du über die Krankheit triumphieren – genauso wie Odysseus über die Sirenen. Und nur daraufkommt es an.«
    »Ja«, sagte sie und begann zu zittern. Im Gegensatz zur
    Hitzkammer war es kalt im Raum, und sie hatte nichts an. »Großer Gott«, entfuhr es ihm, »dich friert ja! Das ist
    Gift für die Behandlung. Du musst wieder in die Kammer.«
    Sie reagierte nicht. Und zu seiner Überraschung fragte
    sie: »Hatte Odysseus eine Frau?«
    »Ja, wieso? Sie hieß Penelope.«
    »Penelope«, wiederholte sie. »Komischer Name, aber er klingt hübsch.«
    »Du musst wieder in die Kammer. Bitte!«, drängte er. »Ich gehe jetzt. Du wirst dich doch wieder hineinlegen?« Sie blickte ihn prüfend an.
    »Es ist wirklich wichtig.«
    »Ich tus. Aber ich sag Euch: Wenn Ihr die Geschichte mit Odysseus nicht erzählt hättet, würd ich jetzt weg sein. Und ich tus auch nur, wenn das Schloss nicht zu ist.«
    »Einverstanden. Ich schicke dir Marthe hoch. Sie soll deine Einschmierung überprüfen. Und dann bekommst du noch ein Diaphoretikum.«
    »Wie?«
    »Verzeih, ich meine ein schweißtreibendes Mittel.«
    »Ich will auch noch Licht.«
    »Ich bringe dir später eine Öllampe und stelle sie vor die Türklappe. Aber sie kann nicht die ganze Nacht hindurch brennen, das wäre zu gefährlich.«
    »Werdet Ihr kommen und sie ausmachen?« »Ja.«
    »Wann?«
    »Wir werden sehen. Aber ich komme bestimmt.«
    Lapidius kletterte die Treppe hinunter und begab sich in die Küche, wo er die Magd halb schlafend an der Feuerstelle antraf. »Marthe, hier ist der Schlüssel zu Freyjas Kammer. Sperr ab, nachdem du die Kranke versorgt hast.«
    Die Magd gähnte herzhaft. »Ja, Herr, is gut, Herr, wassollichn machen?«
    Lapidius erklärte es ihr. »Und dann noch etwas: Es gibt nur diesen einen Schlüssel. Er darf nicht verloren gehen. Grundsätzlich trage ich ihn bei mir, bis auf die Male, wo ich ihn dir aushändige. Jedes Mal, wenn du ihn gebraucht hast, gibst du ihn mir sofort zurück, es sei denn, ich bin nicht da oder andere Gründe sprechen dagegen. In diesem Fall versteckst du ihn …«, er blickte sich suchend um, denn er wusste, in der Mauer neben dem Herd saß ein Stein locker, »ja, dort, hinter dem losen Ziegel.«
    »Is gut, Herr, werds mir merken. Sollich was heiß machen? Essis Suppe da.«
    »Nein, danke. Ich will noch ein wenig experimentieren.«
    »Is gut, Herr. Aber ich sach Euch, wenn Ihr immer nur hinter Euern Blubbergläsern hocken tut, fallt Ihr noch vom Stängel, un ich …«
    »Marthe ! «
    »Ja, Herr, ja, ich geh ja schon.«
     
     
    DRITTER
BEHANDLUNGSTAG
    Freyja lag in der Hitzkammer und fragte sich, wie spät es sein mochte. War der Morgen schon angebrochen? Irgendwann in der Nacht, sie hatte halb geschlafen, war Lapidius gekommen und hatte die Lampe gelöscht.
    Lapidius. Welch ein seltsamer Mann. Groß gewachsen, aber hager und nicht unbedingt gut aussehend. Eher streng, mit kühlen grauen Augen. Und keineswegs mehr jung. Andererseits ein Mann, der etwas ausstrahlte. Ein Herr von Stand eben, auch wenn er sich etwas nachlässig kleidete. Er musste viel erlebt haben, bevor er nach Kirchrode kam. Aber was? Ein Geheimnis lag über ihm, da war sie sicher.
    Ein Juckreiz an der Schulter stellte sich ein, und sie kratzte sich mühevoll. Quecksilberschmiere geriet ihr zwischen die Finger, breiiges, stinkendes Zeug, das sie an einem der Dachsparren abwischte. Ihre Gedanken kehrten zu Lapidius zurück. Noch nie im Leben war sie einem Menschen begegnet, der uneigennützig etwas für sie getan hatte – ihre Mutter natürlich ausgenommen. Und noch immer konnte sie das Misstrauen ihm gegenüber nicht ganz ablegen. Irgendetwas musste dahinter stecken, dass er so handelte …
    Allerdings glaubte sie ihm, wenn er die Gefährlichkeit der Syphilis immer wieder unterstrich. Sie hatte nicht darüber gesprochen, aber sie wusste, wie ein Franzosenhaus von innen aussah. Sie war einmal mit ihrer Mutter in einem gewesen und konnte sich gut an die erbarmungswürdigen Gestalten darin erinnern. Manche von ihnen waren inzwischen sicher wie die Tiere krepiert. Trotz der Hitze, die sie umgab, lief ihr ein

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