Die Hitzkammer
Stadtmauer? Im Wald? In den Bergen?«
Die Koechlin suchte nach Worten.
»Wo ist diese andere Axt jetzt? Wem gehört sie? Sie muss doch einen Besitzer haben!«
Keine Antwort. »Wer war überhaupt dabei, als Ihr die Axt habt bluten sehen? Nur Freyja Säckler? Oder auch andere, die Eure Beobachtung bestätigen können?«
»Jetzt ists aber genug!« Die dürre Drusweiler stemmte die Arme in die Hüften. »Wollt Ihr etwa behaupten, wir würden nicht die Wahrheit sagen? Ihr glaubt wohl dieser hergelaufenen Hu… äh, Hexe mehr als zwei unbescholtenen Frauen? So weit kommt es!« Ihre Stimme bekam einen schrillen Unterton. »Verlasst sofort unseren Hof.«
Die Koechlin hatte sich wieder gefangen. »Ja, verlasst ihn. Sofort! Oder ich schicke nach dem Büttel!«
Lapidius hieb die Axt wieder in den Klotz. »Wie Ihr wollt. Ich stelle aber fest, dass Ihr weder wisst, wo Euch die blutende Axt begegnet ist, noch eine Vorstellung davon habt, wem sie gehört, noch weitere Zeugen benennen könnt. Ich glaube, das Ganze ist ein reines Hirngespinst, nicht mehr als ein Produkt Eurer Einbildung. Ebenso wie alle anderen Untaten, die Ihr der Säckler in die Schuhe schieben wollt.« Er wandte sich ab und verließ mit schnellen Schritten den Hof.
Auf dem Heimweg ging ihm das Gespräch nicht aus dem Kopf. Die Frauen, das schien klar, waren keine Hexensucherinnen. Ansonsten hatten sie sich selbst als Lügnerinnen entlarvt. Jedes Wort, jeder Satz, jede ihrer Reaktionen sprach dafür. Die Frage war nur: Was hatten sie davon, eine junge Frau, die sie kaum kannten, als Hexe zu denunzieren? War es die reine Bosheit, die dahinter stand? Das reine Vergnügen, jemanden in die Folterkammer zu bringen? Er konnte es sich nicht vorstellen.
Und dann war da noch etwas. Etwas Ungereimtes. Etwas, das nicht zusammenpasste. Doch er kam nicht darauf.
Erst spät am Abend, in seinem Laboratorium, wusste er es plötzlich. Es war der Kräutergarten im Hinterhof der Zeuginnen. Der machte keinen Sinn. Denn warum sollte jemand, der einen solchen Garten besaß, zu einer Kräuterhändlerin wie Freyja Säckler gehen? Es musste dafür einen bestimmten Grund geben.
Und vielleicht führte dieser Grund zur Wahrheit.
VIERTER
BEHANDLUNGSTAG
Der alte Holm hatte schon bessere Tage gesehen. Viel bessere, wie er jedem, der es hören wollte – und jedem, der es nicht hören wollte –, erzählte. Früher, da war er in die Grube gefahren, j eden Tag. Als Hauer hatte er gearbeitet, und er hatte gutes Geld verdient. Weib, Kinder und ein eigenes Haus hatte er gehabt. Ja, das waren glückliche Zeiten gewesen! Bis zu dem Tag, da ihm im Achterthaler Entwässerungsstollen ein Gesteinsbrocken auf den Rücken gefallen war. Seitdem ging es mit ihm bergab.
Nach dem Unfall hatte er die Arbeit in der Grube nicht mehr bewältigen können. Ein anderer hatte seinen Platz eingenommen. Dann war innerhalb einer Woche seine ganze Familie an einem Fieber gestorben. Freundliche Nachbarinnen hatten ihm Trost zugesprochen und eine Zeit lang für ihn gekocht. Doch als sie entdeckten, dass er zu trinken begonnen hatte, stellten sie ihre Hilfe ein. Da hatte er sein Haus verkauft, seine Schulden bezahlt und war in den Wald gegangen.
Das Leben dort war nicht das Schlechteste. Er hatte sich eine Hütte gebaut und von Nüssen, Früchten und Fischen gelebt. Ab und zu war ihm sogar etwas Niederwild in die Falle gegangen. Nur das Bier hatte ihm gefehlt. Sehr gefehlt. Denn wer einmal dem Trunk ergeben war, der war es für immer.
Die Sucht war auch der Grund, warum der alte Holm heute noch alle paar Tage in Kirchrode auftauchte und in den Schankwirtschaften die Zecher anbettelte. Da er niemandem etwas zuleide tat und zudem eine skurrile Erscheinung war, hatte er damit häufig Erfolg. Am liebsten hielt er sich im Wirtshaus Zum Querschlag am Gemswieser Markt auf, denn er kannte den Wirt, einen ehemaligen Bergmann, der ihm in alter Verbundenheit hin und wieder ein Bier spendierte.
Auch gestern Abend war das so gewesen. Irgendwann hatte Pankraz, der Wirt, zu ihm gesagt: »Es ist spät, Holm, mach, dass du wieder in deinen Wald kommst. Ich krieg Ärger mit der Nachtwache, wenn ich j etzt nicht schließ. He, und ihr anderen Burschen geht auch eurer Wege.«
Protestierend hatten die Zecher sich aus der Tür geschoben. Nur Holm war geblieben. Mit der Hartnäckigkeit des Betrunkenen hatte er den Schanktisch umklammert und sich geweigert, den Querschlag zu verlassen. »Pa… Pankraz«, hatte er gelallt, »no…
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