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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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tun.«
    »Das mag aus Eurer Sicht so sein, Magister, ich …«
    »Verzeiht, wenn ich Euch ins Wort falle, Herr Bürgermeister, aber sicher hat Euch Richter Meckel davon in Kenntnis gesetzt, dass Freyja Säckler von der Syphilis geschlagen wurde. Das Stadium, in dem sich die Krankheit befindet, ist über die Anfänge hinaus. Behandlungsmaßnahmen sind dringend erforderlich. Da nun in Kirchrode kein Franzosenhaus vorhanden ist, habe ich mich bereit erklärt, die Kur bei mir im Oberstock durchzuführen. Einmal begonnen, darf die Behandlung auf keinen Fall abgebrochen werden; es käme einem Todesurteil gleich.«
    Leberecht, ein blasser, unscheinbarer Mann, dessen auffälligstes Merkmal ein in regelmäßigen Abständen zuckendes Augenlid war, winkte ab. »Sicher, sicher, das alles ist bekannt. Der Rat hat sich hierüber bereits ausgetauscht und sogar in Erwägung gezogen, die Lustseuche durch den Stadtmedicus kurieren zu lassen, indes hat Medicus Gesseler keine, äh …« Er blickte fragend zur Seite.
    »Hitzkammer«, half Meckel aus.
    »Richtig, ich kam nicht auf das Wort. Der Medicus hat keine Hitzkammer, so dass dreierlei konstatiert werden muss: Erstens kann die Hexe nicht ins Franzosenhaus, zweitens kann sie nicht zum Stadtmedicus, und drittens, verehrter Magister, kann sie auch nicht bei Euch bleiben. Der Pöbel zerreißt sich schon jetzt das Maul. Also muss sie endlich ein Geständnis ablegen, damit sie dahin kommt, wo sie hingehört: auf den Scheiterhaufen.«
    Kossack, um die vierzig und damit der Jüngste des anwesenden Rates, ergänzte mit erhobenem Zeigefinger: »Wodurch das Problem der Syphilis gleich mit erledigt wäre.«
    Lapidius glaubte nicht richtig gehört zu haben. Er hatte angenommen, es mit klar denkenden Männern zu tun zu haben, mit klug abwägenden Köpfen, die sehr wohl in der Lage waren, eine unschuldige junge Frau von einer Hexe zu unterscheiden. Sicher, es gab Zauberweiber, die des Teufels waren und mit ihm buhlten, das beklagte nicht nur die Kirche, auch Wissenschaftler j edweder Richtung waren davon überzeugt, aber das hieß noch lange nicht, dass man j eden Hokuspokus glauben und j ede Anschuldigung für bare Münze nehmen musste.
    »Ich möchte ebenfalls drei Punkte nennen«, sagte er, mühsam seiner Erregung Herr werdend. »Allerdings sprechen sie dafür, alles beim Alten zu belassen. Erstens, denke ich, wären die hohen Richter in Goslar erheblich verärgert, wenn man sie einerseits um ihre Meinung fragt, andererseits aber ihre Antwort nicht abwartet und weiter prozediert, als sei nichts geschehen. Zweitens würde bei einer Neuaufnahme der Verhandlung früher oder später ans Licht kommen, dass die Säckler unter der Franzosenkrankheit leidet. Ich bin sicher, die Unruhe in der Stadt wäre dann noch viel größer, nicht zuletzt wegen der Ansteckungsgefahr.« Lapidius räusperte sich, denn die Kehle war ihm trocken geworden. Er hätte viel für ein Glas Wasser gegeben.
    »Und drittens?« Stalmann drehte an seinen Ringen.
    »Drittens kann die Säckler gar nicht die Mörderin sein, weil sie hinter Schloss und Riegel ist. Den Schlüssel zur Hitzkammer verwahre ich. Niemand sonst hat einen. Meister Tauflieb, mein Nachbar, der das Schloss eingesetzt hat, kann das bestätigen.«
    »Aha. Hm, hm.« Stalmann wusste nicht recht, was er sagen sollte. Die Argumente schienen stichhaltig.
    Lapidius setzte nach. »Die Kirchroder werden sich schneller beruhigen, als wir denken. Sie haben andere Sorgen. In zwei oder drei Tagen kräht kein Hahn mehr nach der Säckler.«
    Meckel, dem der Verlauf des Gesprächs durchaus nicht angenehm gewesen war – immerhin hatte er die als Hexe Angeklagte aus der Gerichtsbarkeit entlassen –, trommelte einen Fingerwirbel. »Was Magister Lapidius sagt, klingt vernünftig in meinen Ohren«, sagte er und dachte daran, dass Hoffnung bestand, die Säckler auch ohne Prozess und Scheiterhaufen loszuwerden. Dadurch nämlich, dass sie an Lapidius’ Schmierbehandlung zugrunde ging. Ein Vorgang, durch den sich alles genauso erledigen würde wie durch die Verbrennung.
    Stalmann schnaufte unentschlossen.
    Kossack starrte auf seine Fingernägel.
    Leberechts Augenlid zuckte. »Vernünftig hin oder her, Meckel, ich verstehe nicht, warum wir so viel Aufhebens um eine Kräuterhökerin machen. Keiner weiß, woher sie kommt, keiner wird sie jemals vermissen. Das Gemeinwohl steht über dem des Einzelnen. Für die Stadt wäre es am besten, sie zu tortieren, bis die Wahrheit ans Licht kommt

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