Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
mir ab. Bei der Gelegenheit brachte sie regelmäßig frische Weidenruten, Haselnussgerten und Birkenreiser mit, Arbeitsmaterial, an das ich hier auf der Höh nur schwer herankomme. Vor ungefähr einem Jahr starb ihr Vater, seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.«
    »Gunda Löbesam.« Nachdenklich sprach Lapidius den Namen aus. »Vielleicht war sie, als sie ermordet wurde, auf dem Weg nach Kirchrode?«
    »Das glaube ich kaum«, entgegnete die schiefe Jule. »Gunda mochte die Stadt nicht. Sie war dort mehrere Male bestohlen worden, weshalb sie stets nur über Land zog und ihre Waren an die Bauern verkaufte.«
    »Dann wurde sie außerhalb der Stadt getötet. Vielleicht hier in den Bergen.«
    Der Schaukelstuhl kam abrupt zum Stillstand. »Ein bedrohlicher Gedanke!« Für einen Augenblick schien die Korbmacherin verstört. Doch dann schaukelte sie weiter. »Was soll ich mich sorgen. Ich bin nicht jung, ich bin nicht schön, und wegen ein paar Körben ist noch niemand gemeuchelt worden.«
    »Ich hoffe, du hast Recht«, sagte Lapidius. »Ich werde sehen, ob mich der Name Gunda Löbesam weiterbringt. Vielleicht sehen wir uns einmal wieder. Für heute verabschiede ich mich. Es hat gut getan, mit dir zu reden.«
    Die schiefe Jule erhob sich mühsam. »Danke, Herr. Auch für mich war es eine angenehme Abwechslung. Ich fürchte nur, ich konnte Euch kaum zu Hilfe sein. Nehmt den Hauptweg an der großen Buche entlang, dann könnt Ihr Euch nicht verlaufen, und Ihr seid noch vorm Dunkelwerden in der Stadt.«
    »Danke. Und auf Wiedersehen.«
    »Auf Wiedersehen, Herr.«
    Lapidius nahm den ausgetretenen Pfad hinunter nach Kirchrode, verirrte sich kein einziges Mal und war eine knappe Stunde später in der Stadt.
    Er ahnte nicht, dass ein Augenpaar ihn aufmerksam beobachtet hatte.
    Marthe schlief am Herdfeuer, als er in die Küche trat. Das Licht der Flammen tauchte ihre rosigen Wangen in ein deftiges Rot. Sie musste beim Brotschneiden eingenickt sein, denn in ihren Armen befand sich noch der Laib, den sie wie einen Säugling hielt. Dicke Scheiben lagen bereits auf dem Küchentisch. Die gute Seele! Normalerweise war sie um diese Tageszeit bei ihrer Mutter, doch heute hatte sie auf ihn gewartet. Ob sie sich Sorgen um ihn gemacht hatte? »Pssst, Marthe! Du hast dir doch keine Sorgen gemacht?«, fragte Lapidius leise, während sein Blick über den Tisch glitt und weitere Köstlichkeiten entdeckte, die ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen: ein Stück goldgelbe Butter, Schinken, Ziegenkäse und einen Zipfel Blutwurst.
    Marthe schlief weiter.
    Es beschloss, sie nicht zu wecken, sondern setzte sich und begann zu essen. Der Tag lief noch einmal vor ihm ab. Er hatte zwei Menschen kennen gelernt, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten: den alten Holm und die schiefe Jule. Beide waren auf ihre Art Sonderlinge. Hatten sie etwas mit dem Mord zu tun? Nein, der Gedanke war abwegig. Holm würde zwar sein letztes Hemd für eine Kanne Bier hergeben, aber töten würde er dafür nicht. Jedenfalls nicht eine Korbmacherin, die vermutlich weder viel Geld noch Bier bei sich gehabt hatte. Und Jule? Sie hätte in der Ermordeten eine unbequeme Konkurrenz sehen können, aber allein schon wegen ihrer Gebrechlichkeit kam sie nicht in Frage.
    Lapidius schob ein Stück Wurst in den Mund und blickte sich nach etwas Trinkbarem um. Als er nichts fand, fingen die Grübeleien ihn wieder ein. Da waren die Gespräche mit Holm und Jule. Er bemühte sich, sie wie einen alchemistischen Prozess zu analysieren, und kam zu dem Schluss, dass sie im Kern nur wenig ergeben hatten. Doch dieses Wenige konnte von großer Bedeutung sein. Was beispielsweise hatte die Koechlin und die Drusweiler dazu gebracht, in den Wald zu gehen? Der Weg, das hatte er am eigenen Leibe gespürt, war lang und beschwerlich. Sie mussten einen besonderen Grund dafür gehabt haben. Einen wichtigen. Er suchte nach einer plausiblen Erklärung, doch er fand keine. Zu wenig wusste er über die Begleitumstände. Nicht einmal der ungefähre Zeitpunkt des Waldbesuchs war ihm bekannt.
    Blieb der Name: Gunda Löbesam. Er sagte ihm nichts. Ihm nicht und auch sonst keinem. Außer Jule.
    Niemand kannte die tote Korbmacherin. Niemand … halt! War das vielleicht ein Ansatz? Hatten die Mörder absichtlich eine Unbekannte als Opfer gewählt? Höchst abgefeimt, wenn dem so war. Aber vielleicht handelte es sich auch nur um einen Zufall.
    Lapidius fühlte Hilflosigkeit. Das Problem kam ihm vor wie ein

Weitere Kostenlose Bücher