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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Schlagfluss sie getroffen.
    »Ich bin Jule«, begrüßte sie ihn, »die ›schiefe‹ Jule, wie die Leute sagen. In der Tür ziehts, komm mit nach hinten.« »Lapidius«, sagte Lapidius, der sich nicht ohne Mühe einen Weg durch die Körbe bahnte. Die schiefe Jule war jünger, als er gedacht hatte. Sie war nicht das erwartete alte Weiblein, auch wenn sie von kleinem Wuchs war, einen verkrüppelten Rücken hatte und sich auf einen Stock stützte. Er schätzte sie auf sein eigenes Alter.
    Die Frau blieb vor einer Flechterbank stehen und schob allerlei Werkzeug, darunter Pfrieme, Klopfeisen und Korbmacherscheren, beiseite. Dann wies sie mit dem Stock auf den Schemel davor. »Setz dich. Meine Arbeit kann warten.« Sie selbst zog sich einen Schaukelstuhl aus Korb heran. »Was führt dich zu mir?«
    Lapidius überlegte schnell. Er hätte es als unhöflich empfunden, sein Anliegen sofort vorzutragen, deshalb sagte er: »Du stellst wunderschöne Stücke her. Ich habe noch nie so viele und so unterschiedliche Körbe gesehen.«
    »Das glaube ich dir.« Über Jules Gesicht huschte ein Lächeln, während sie ihn aus klugen Augen musterte. »Die Korbflechterei ist meine Passion. Ich habe nichts außer ihr. Keinen Mann und keine Kinder. Ich tue nichts als flechten, und das schon mein Leben lang.« Der Schaukelstuhl kam in Bewegung.
    »Es ist großartig, wenn jemand sein Handwerk so meisterhaft beherrscht.« Lapidius dachte an seine eigene Profession und daran, wie unzulänglich er sich oftmals vorkam. Wie alle Alchemisten arbeitete er an dem Großen Werk, der Kunst, per Transmutation aus unedlem Metall Gold herzustellen. Doch dazu bedurfte es des Steins der Weisen, und eben diesen besaß er nicht. Noch nicht. Seine Theorie war, über die Abläufe während der Amalgamation den Lapis mineralibus aufzuspüren – immer in der Hoffnung, das Quecksilber möge am Endpunkt zum Stein der Weisen mutieren, zum Roten Löwen, wie die Eingeweihten ihn nannten, und das Maß der Goldgewinnung potenzieren.
    »Glaube mir«, unterbrach die schiefe Jule seine Gedanken, »ich wäre gern eine weniger geschickte Handwerkerin und hätte dafür einen gesunden Körper. Was also willst du?« Lapidius nahm eine Weidenrute von der Flechterbank und begann damit zu spielen. »Eine junge Frau wurde ermordet«, hob er an. »Niemand kennt ihren Namen. Ich weiß nur, dass sie Korbmacherin war.«
    »Eine Korbmacherin?« Jules Schaukelstuhl schwang stärker aus. »Ermordet, sagst du. Und? Was hast du damit zu schaffen?«
    »Nun.« Lapidius merkte, dass ihm keine andere Wahl blieb, als seinem Gegenüber reinen Wein einzuschenken. Schließlich wollte er etwas von Jule, also hatte sie auch ein Recht auf Offenheit. »Kannst du schweigen?«
    Wieder musterten ihn die klugen Augen. »Wenn ich will, wie ein Grab.«
    Er nahm das als Versprechen und erzählte von Anfang an. Er ließ nichts aus und fügte nichts hinzu. Und während er redete, fühlte er, wie gut es ihm tat, denn bislang hatte er niemanden gehabt, dem er sich mitteilen konnte. Seine Geschichte kam ihm mit jedem Satz seltsamer vor, und er fragte sich wiederholt, ob es richtig gewesen war, sich auf alles das einzulassen.
    Als er geendet hatte, stand die schiefe Jule auf und holte ihm einen Becher Most. Sie stellte ihn auf die Flechterbank und sagte: »Trinkt erst einmal. So wie Ihr, Herr, hätte nicht jeder gehandelt. Ihr habt vorhin meine Arbeit bewundert, jetzt bewundere ich Euren Mut. Ja, ich denke auch, dass hinter der Koechlin und der Drusweiler j emand steht. Ein gefährlicher, listiger Mörder. Aber, Gott ist mein Zeuge, ich habe nicht die geringste Ahnung, wer es sein könnte. Der alte Holm jedenfalls nicht, der lebt nur noch im Suff.«
    Lapidius nickte zustimmend. Er trank und nahm dann die Weidenrute wieder auf. »Schade, dass du die Tote nicht kennst. Ich dachte, du als Korbflechterin wüsstest vielleicht ihren Namen, schließlich hatte sie denselben Broterwerb.«
    »Wer sagt, dass ich sie nicht kenne?«
    »Was willst du damit sagen?« Lapidius, im Begriff, die Rute durchzubiegen, hielt inne.
    »Dass ich zu wissen glaube, wie die Ermordete heißt. Ihr Name ist Gunda. Gunda Löbesam. Die Beschreibung von Euch passt genau auf sie. Sie war ein gutes Ding. Früher zog sie mit ihrem Vater über Land und bot ihre Waren feil. Sie war nicht besonders geschickt im Flechten, weshalb sie meine Körbe gerne mitverkaufte. Drei, vier Male im Jahr kam sie den gefährlichen Weg vom Otternberg herüber und rechnete mit

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