Die Hitzkammer
die Therapie ansprichst. Morgen früh lässt Marthe dir die übliche Behandlung angedeihen. Ich gehe jetzt zu Bett.«
»Ja. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.« Er stapfte die Treppe hinunter und stellte fest, dass auch die Magd sich schon zurückgezogen hatte. In seinem Laboratorium sah es aus wie immer. Die Geräte standen auf dem Tisch wie gläserne Soldaten und harrten weiterer Experimente. Ein vertrautes Gefühl durchströmte ihn. Erst j etzt war er wieder zu Hause. Rasch kleidete er sich aus und begab sich im Unterzeug zu Bett. Schon halb schlafend, hörte er plötzlich eine Stimme: »Wo kommt die Syphilis her?«, fragte sie.
Lapidius, der im ersten Augenblick gedacht hatte, er habe geträumt, erkannte, dass es Freyjas Stimme gewesen war. Sie hatte durch den toten Schacht zu ihm gesprochen. Er veränderte seine Lage im Bett, damit Mund und Ohr noch näher an die Sprechöffnung kamen, und antwortete: »Ich denke, du schläfst längst.«
»Ich kann den ganzen Tag schlafen. Und kanns auch wieder nicht. Fühl immer Schmerzen und Zittern. Tag und Nacht sind alleweil gleich. Wo ist die Syphilis her?« Freyjas Stimme klang hohl und fremd.
»Willst du das wirklich wissen?«
»Ich denk, ich muss. Wenn ich die Krankheit kenn, komm ich besser dagegen an.«
»Das leuchtet mir ein. Also höre: Soweit ich weiß, gibt es zwei Erklärungen. Die eine sagt, Kolumbus habe die Lustseuche von seiner ersten Reise aus Westindien mitgebracht. Du hast doch schon von Kolumbus gehört?«
»Ja. Hab ich.«
»Gut. Kolumbus’ Männer, heißt es, hätten sich in der Neuen Welt mit der Lustseuche angesteckt. Und nachdem sie wieder zu Hause in Spanien waren, hätten sie dann, ohne es zu wissen, die Seuche weitergegeben.«
»Hm. Wieso heißts Franzosenkrankheit, wenns doch die Spanier waren?«
»Eine gute Frage. Dazu muss man wissen, dass die Seuche anschließend über ein Söldnerheer von Spanien nach Neapel in Italien gelangte. Das Heer stand unter dem Befehl des Franzosenkönigs Karl VIII. Von seinen Truppen aus verbreitete sich die Syphilis über ganz Europa. Deshalb spricht man von der Franzosenkrankheit.«
»Ach so.«
»Die andere Erklärung macht die Sterne für die Krankheit verantwortlich. Es ist da von einer astral bedingten Luftkonstitution die Rede. Die Syphiliskeime, so die These, kämen aus einer schmutzigen Luftfäule, die wiederum durch eine spezielle Konjunktion der Planeten Saturn, Jupiter und Mars bewirkt worden sei. Diese Konjunktion wurde anno 1484 am Himmel beobachtet, also vor dem Ausbruch der Seuche, der auf anno 1493 datiert wird.«
»Das Erste versteh ich. Das Zweite nicht.«
»Ich auch nicht, offen gesagt. Jedenfalls nicht ganz. Die zweite Erklärung ist übrigens von Fracastoro.«
»Ist das der mit dem Gedicht?«
»Ja, ganz recht.«
»Könnt Ihr was aufsagen?«
»Nein, leider nicht.« Lapidius merkte, dass sie danach trachtete, das Gespräch zu verlängern, aber er war so müde, dass ihm schon fortwährend die Augen zufielen. »Ich muss jetzt schlafen, und du solltest es auch. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Er zwang sich, noch eine Weile wach zu bleiben, bis er glaubte, über sich regelmäßige Atemzüge zu vernehmen. Dann drehte er sich auf die andere Seite. Der Schlaf kam nun vollends und machte ihm die Glieder schwer. Einzelne Gedanken gingen noch in seinem Kopf herum. Er verscheuchte sie. Doch zwei Buchstaben blieben. Es waren die Buchstaben F und S, und sie waren eingeschnitten in die Stirn der toten Gunda Löbesam.
Er veränderte seine Position. Seine Hand machte eine abwehrende Bewegung. Die Buchstaben blieben. Sie waren Zeugnisse dafür, dass die Mörder mit ihrer Tat auf Freyja zielten. Seine Patientin sollte als Hexe hingestellt werden. Aber warum? Warum war es für die Mörder so wichtig, dass sie als Dämonin verbrannt wurde? Darauf gab es nur eine logische Antwort: Freyja musste etwas wissen, das ihnen schaden konnte. Sehr schaden. Daraus folgte: Sie musste mit den Mördern in Verbindung gestanden haben.
Und sie kennen.
Lapidius tat in dieser Nacht kein Auge mehr zu.
SIEBTER BEHANDLUNGSTAG
In den Morgenstunden hatten die Koliken wieder eingesetzt. Sie waren über sie gekommen, hatten sie gepackt, gebeutelt und ihr die Luft aus den Lungen gepresst. Die Torturen waren so stark gewesen, dass Freyja glaubte, sie nicht mehr ertragen zu können. Doch dann war es irgendwie weitergegangen. Der Wall aus Schmerzen war nach und nach zum Einsturz gekommen, und sie hatte wieder atmen können. Das
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