Die Hitzkammer
»Wenn Marthe wieder da ist, wird sie alles Notwendige für dich tun. Einstweilen fasse dich in Geduld und sei weiter so tapfer. Später am Tag werde ich noch einmal nach dir sehen. Und was unser Gespräch angeht: Am besten, du vergisst es.«
»Ja.«
Freyja war keineswegs sicher, ob ihr das gelingen würde. Um die Mittagsstunde stand Lapidius in der Diele seines Hauses, am Kragen nestelnd und die Samtkappe zurecht rückend. Marthe umflatterte ihn wie ein Brutvogel und strich mit weit ausholenden Bewegungen seinen Mantel glatt. »Ne Schande isses, Herr. Immer wenns Essen fertich is, geht Ihr. Un ich hab so was Feines aufm Feuer!«
»Schon gut, Marthe. Ich weiß, dein ganzes Sinnen und Streben gilt den leiblichen Genüssen, aber es gibt ein paar Dinge im Leben, die wichtiger sind.«
»Wollt Ihr nich wenichstens ne Putterpomme …«
»Nein.« Lapidius befreite sich aus den Fängen der Magd und trat auf die Straße. Sich noch einmal umwendend, rief er ihr zu, dass er nicht wüsste, wann er zurück sei. Augenblicklich hob das Wehklagen wieder an:
»Wassollich bloß noch kochen? Gott is mein Zeuge, ich dien Euch gern, Herr, gern dien ich Euch, abers Essen wird alleweil schlecht, weil Ihr nie nich da seid, wenns aufn Tisch kommt. Ogottogott, ich weiß auch nich mehr!«
Er schüttelte ihren Redeschwall ab und lenkte seine Schritte automatisch in Richtung Rathaus, als ihm j ählings einfiel, dass heute Montag war – und damit Markttag. Da er wenig Lust auf eine Begegnung mit den streitbaren Händlerinnen hatte, machte er einen Bogen um den Platz und traf entsprechend später an seinem Ziel, dem Gottesacker, ein. Wie erhofft war Krott auch heute bei der Arbeit. Die regelmäßig aus dem Erdreich auftauchende Schaufel war ein Zeichen dafür. Lapidius trat an die Grube und entbot freundlich die Tageszeit.
»Oh, einen guten Tach auch!« Der Totengräber legte die Schaufel aus der Hand und kletterte aus dem Loch.
Lapidius kam ohne Umschweife zur Sache. »Sag mal, Krott, wurde die unbekannte Tote, du weißt schon, die vom Markt, inzwischen der Erde übergeben?«
»Ja, Herr. Gestern wars.«
»Ich hoffe, der Herr Pfarrer hat ein paar Worte gesprochen?«
»Nee, Herr, hatter nich. Ich sollt die Frau man schon reintun, hatter gesacht. Habse über ne Rutsche runtergelassen, ging nich anners, war ja ganz allein. Hinterher wollt der Pfarrer noch was beten.«
»Und das hat er nicht getan?« Lapidius’ Gesichtsausdruck verdüsterte sich.
»Nee, hab jedenfalls nix gemerkt.«
Eine Welle des Zorns schlug in Lapidius hoch. Hier hatte sich wieder einmal bewahrheitet, dass nur wer wohlhabend war des Himmelreichs teilhaftig wurde. Jedenfalls wenn es nach dem Willen der Kirche ging. Oder besser: derjenigen, die sich erdreisteten, Gottes Gebote auf Erden zu vertreten. Dabei war Jesus Christus selbst einer der Ärmsten gewesen, und nirgendwo in der Heiligen Schrift stand zu lesen, dass Armut dem letzten Segen entgegenstand.
»Ich stelle also fest, dass die Tote ohne die Worte des Herrn in der Erde liegt«, sagte er grimmig. »Nun, Krott, ich habe hier ein Papier, auf dem Namen und Todestag der Ermordeten aufgeschrieben sind. Sei so freundlich und lasse ein Holzkreuz mit diesen Angaben herstellen. Warte …« Lapidius kramte in der Manteltasche nach den Münzen, die er in den Kleidern von Gunda Löbesam gefunden hatte. Da er nicht sicher war, ob die Summe reichen würde, tat er noch einen halben Taler aus seiner eigenen Geldkatze dazu. »Hier, nimm.«
Der Totengräber bekam kugelrunde Augen. »Oh, Herr, dassis zu viel.«
»Wenn es zu viel ist, kannst du den Rest behalten.«
»Danke, Herr, oh, danke!« Mit einer geschickten Bewegung ließ Krott das Geld verschwinden, nicht ohne es vorher mit fauligem Zahn geprüft zu haben. Dann regte die Neugier sich in ihm. »Was stehtn aufm Papier drauf, Herr?«
»Ich lese es dir vor: ›Gunda Löbesam, geboren um 1520, gestorben 15. Aprilis 1547‹, darunter steht noch Dormi in Deo, das heißt ›Schlafe in Gott‹.«
»Ja, so.« Krott staunte, sein Mund ging auf und zu. Durch Lapidius’ Großzügigkeit ermutigt, traute er sich, weitere Fragen zu stellen. »Un woher wisst Ihr den Namen, Herr, un dasssie am 15. totgemacht wurde?«
Lapidius fragte sich, ob er dem Mann so ausführlich Rede und Antwort stehen sollte, sah aber keinen Grund, es nicht zu tun. »Jemand kannte den Namen der Toten und hat ihn mir genannt«, sagte er. »Und zu deiner zweiten Frage: Du selbst hast mir erzählt, dass die
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